9. April 2017, Budapest

Hochwürdigster Herr Bischof! Sehr geehrte Herrn Minister, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich erinnere mich noch, hier standen wir 1996 mit Graf Lambsdorff auf dem Hof – vielleicht ist das Foto noch vorhanden –, er blickte hoch zu dem gerade frisch renovierten Gebäude der Deutschen Bank und sagte: „Was für eine Schande! Der Tempel des Geldes ist bereits erneuert, und die Kirche Gottes ist in Trümmern.” Im Jahre 2002 haben diese Schande wir Deutschen und Ungarn gemeinsam beendet, seitdem glänzt die Kirche Gottes in ihrem alten Licht. So ist es, wenn Deutsche und Ungarn in guten Dingen zusammenwirken, es gelingt und auch Gott sendet seinen Segen dorthin. Ich bin dankbar dafür und freue mich, dass ich Anteil an dieser Arbeit haben durfte.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich hatte gedacht, wie frappant es wäre, wenn der Herr Bischof eine politische Predigt hält, und ich dann mit einer theologischen Predigt antworten würde, doch hierzu verfüge ich nicht über ausreichenden Mut. Und wenn es auch wahr ist, dass wir nicht Männer des Zurückweichens sind, so ist dies kein Grund dafür, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Ich bleibe also bei meinen eigenen Leisten, und begrüße mit großer Verbundenheit den Geistlichen der Gemeinde, ihren Verwalter, ihre Presbyter und Gläubigen. Dem letzten, der sich zu Wort meldet, fällt eher die ehrenvolle Aufgabe zu, das zuvor Gesagte zusammenzufassen – dies ist eine dankbare Pflicht. Wenn ich es in einem Satz formulieren sollte, was uns jener Tag von vor anderthalb Jahrzehnten bedeutet, als aus dem Lager des Fernsehens endlich wieder Gottes Haus, die Kirche der deutschsprachigen Kirchengemeinde wurde, dann fällt mir ein protestantischer Gesang ein: „Wunderbar wirkt der Herr”. Es ist kein Zufall, dass wir diesen Tag gerade mit der Einweihung einer Orgel feiern. Die Reformatoren waren der Ansicht, die Kirchenmusik sei besonders dazu nützlich, die Seele fröhlich zu stimmen und den Teufel weit weg zu vertreiben. Auch dieser Tage, als wir die Kossuth-Preise übergaben, sagte mir ein protestantischer Kossuthpreisträger und Kirchenmusiker, „Wir werden dann“, ich zitiere ihn, „dem Teufel eine in die Magengrube verpassen, er hat hier nichts zu suchen.“

Ich könnte also auch dahingehend formulieren, dass wir an diesem Palmsonntag, wenn wir die Orgel der Gemeinde übergeben, die besondere Vorsehung Gottes feiern, über die wir wissen, dass menschliche Berechnung und menschliches Verstehen sie wohl kaum erfassen können. Denn so sehr wir dies auch gerne hätten, mit menschlicher Logik werden wir niemals verstehen, wie eine mit Blumen und Palmenzweigen gesäumte Straße trotzdem jene Richtung nehmen kann, dass sie zu einem Kreuz führt. Gottes Pläne widersprechen zeitweise dem bekannten Gang der Dinge, wie wenn aus Kanonen Glocken gegossen werden, denn wer hätte auch nur zur Mitte der achtziger Jahre gedacht, dass aus diesem Gebäude, das im Weltkrieg von einer Bombe getroffen und dessen Innenraum im Laufe des Kommunismus beinahe vollkommen zerstört worden war, irgendwann einmal erneut eine Kirche sein kann? Und wer hätte gedacht, dass diese Gemeinde, die im Laufe ihrer Geschichte von anderthalb Jahrhunderten so oft entlang der Grenze von Sein und Nichtsein balancierte, auch nach 1990 nicht den einfacheren, sondern den schwierigeren Weg wählen würde? Wer hätte gedacht, dass – anstatt sich eine neue Kirche zu bauen – sie lieber ihre alte zurückerlangt, um sie mit anstrengender Arbeit wiederherzustellen? Die deutschsprachige Kirchengemeinde hat ihre alte Kirche zurückgenommen und renoviert. Ich habe es so verstanden, dass dies aus dem Grunde geschah, weil sie auch hierdurch „Ja“ zu ihren eigenen Wurzeln sagen wollte. Zu der anderthalb Jahrhunderte bestehenden Tradition, die Zeugnis davon ablegt, dass der Herr wunderbar wirkt.

Vor 500 Jahren fiel ein Stein in das regungslose stehende Gewässer der westlichen Welt. Plötzlich veränderte sich alles. Die von Wittenberg ausgehende Welle erreichte die vier Ecken der westlichen Welt, alles erneuerte sich: Kirche, Wirtschaft und Kultur. Nacheinander erschienen die Gesänge und Bibelübersetzungen in den Nationalsprachen, die zuerst die Grundlagen der Nationalliteraturen, und dann der Nationalstaaten niederlegten. Luther, Calvin und die anderen Reformatoren erschienen, dies führte uns zum Aufstieg der westlichen Kultur und zu ihrem ersten Platz in der Welt und zum Erhaltenbleiben der unter der osmanischen Besetzung einen Kampf auf Leben und Tod führenden ungarischen Nation.

Meine lieben Brüder und Schwestern!

Im Leben gibt es aber ärgerliche Gesetzmäßigkeiten. Solche sind zum Beispiel, dass die durch einen Kieselstein ausgelösten Wellen sich legen und die Oberfläche der Seen des seelischen Lebens immer wieder unbeweglich werden. Vor 150 Jahren sagte ein Missionar über die ungarischen Anhänger von Calvin folgendes: „Es wäre gerade an der Zeit, dass die ungarischen Reformierten nicht nur Zeugnis davon ablegen, dass sie bereit sind, für ihren Glauben zu sterben, sondern auch davon, dass sie auch bereit sind, für ihn zu leben.” Vor anderthalb Jahrhunderten kam ein weiterer Kieselstein an, die deutschsprachige reformierte Kirchengemeinde wurde gegründet. Und zwar genau auf die Weise, wie die Vorsehung funktioniert. Denn, meine lieben Brüder und Schwestern, was könnte sich – gemessen mit dem menschlichen Geist – aus der Situation ergeben, die man folgendermaßen zusammenfassen kann: Schottische Missionare schaffen eine deutschsprachige reformierte Kirchengemeinde in dem von überwiegend Katholiken bewohnten Pest, und all dies ursprünglich aus dem Grunde, um in der örtlichen jüdischen Gemeinde Missionsarbeit zu verrichten? Im Prinzip, nach unseren Begriffen, könnte hieraus bestenfalls nur das Drehbuch für eine Komödie entstehen. Der Regisseur erachtete aber gerade dies als geeignet dafür, um in den ungarischen protestantischen Gemeinden eine Welle der Erneuerung auf den Weg zu schicken. Von hier aus begann der Siegeszug der Sonntagsschulbewegung, der Verein Junger Christen [Keresztyén Ifjúsági Egyesület], der Verein Blaues Kreuz [Kékkereszt Egyesület]; dieser Gemeinde haben wir auch die Gründung des Bethesda-Krankenhauses und den Beginn der ungarischen Diakonissinenausbildung zu verdanken. Und von hier aus ging auch jenes seelische Erwachen aus, das die unfruchtbare Periode des theologischen Rationalismus beendete.

Ich hatte schon immer das Gefühl, dass die Geschichte dieser Gemeinde eine tiefe Ähnlichkeit mit der Geschichte der ungarischen Nation aufweist. Deshalb habe ich über meine bekannte persönliche Voreingenommenheit hinaus auch als Führer der nationalen Regierung das Schicksal dieses Ortes immer als eine Herzensangelegenheit von mir betrachtet. Ich habe die Verkörperung dessen in ihm gesehen, dass eine bunte Gemeinde, in der der gemeinsame Glaube das Bindemittel der Zusammengehörigkeit darstellt, selbst noch nach den Weltkriegen, den Zeiten der Not und der Aussiedlung zu einem starken seelischen Haus werden kann. Ihre über vielfältige Wurzeln verfügende Gemeinde ist der lebendige Beweis und eine Ermutigung von elementarer Kraft für jeden politischen Führer patriotischer Gesinnung. Einst gehörte die deutschsprachige Gemeinde zu den kleinsten, trotzdem ist sie zu Dingen geeignet geworden, die weit über ihre Kräfte gingen, und zu alldem war nur soviel notwendig, dass es eine Hand gibt, die die Arbeit anpackt, dass es Menschen gibt, die nicht nur mit dem Mund, sondern auch mit dem Herzen ein Bekenntnis ablegen, und meiner Überzeugung nach ist auch heute nichts anderes notwendig, als dass es mutige Gemeinschaften geben muss, die sich selbst stolz als Christen, als Europäer, als Deutsche und als Ungarn bekennen. Weil es meine Überzeugung ist, dass zum 500. Jahrestag der Reformation nichts anderes notwendig ist, als dass es derartige Kieselsteine gibt, die die Hand der Vorsehung in das Wasser werfen kann. Wenn es genügend Kieselsteine geben wird, dann wird sich Europa erneuern und auch Ungarn fest stehen können. Gebe Gott, dass dem so sein wird!

Soli Deo gloria!