31. Oktober 2017, Budapest
Hochwürdige Herr Bischöfe und Kuratoren! Feiernde Gemeinde! Liebe Brüder und Schwestern!
Die Häupter unserer Kirche haben mich darum gebeten, heute zu Ihnen zu sprechen. Sie haben sicherlich deshalb darum gebeten, weil sie es für richtig halten, dass auf dem Abschlusstreffen zum fünfhundertjährigen Jahrestag der kalvinistische Ministerpräsident im Namen der ungarischen Regierung das Wort ergreift. Die Tradition verpflichtet. Und besonders heute, als auf den Tag genau gerade vor 99 Jahren christenfeindliche Kräfte unseren herausragenden reformierten Ministerpräsidenten, István Tisza, ermordeten. Über die Respektierung der Tradition hinaus gibt uns dieses Jubiläum auch die Möglichkeit, zu klären, zu diskutieren und festzuhalten, was die Reformation in den öffentlichen Angelegenheiten, dem Staatsleben und dem Aufbau der Nation bedeutet. Ich möchte jetzt hierüber sprechen, wegen der Begrenztheit der Zeit werde ich – so wie ich das vorhin vom Herrn Bischof Steinbach gelernt habe – nicht erklären, sondern sagen. Dem Menschen zu dienen ist in der Regierung eine mindestens so schwierige Aufgabe wie in der Kirche. Deshalb bin ich auch persönlich dankbar für jede Unterstützung, die wir von unserer geistigen und seelischen Gemeinschaft, von Ihnen, Protestanten und natürlich auch von den katholischen Brüdern und Schwestern erhalten. Und ich habe in den vergangenen Jahrzehnten auch gelernt, dass die höchste Form dieser Unterstützung das Gebet sei. Dank dafür!
Auch das ist Teil der guten und ehrbaren Ordnung, dass an unserem Fest zuerst der Gottesdienst kommt und erst danach folgen unsere weltlichen Angelegenheiten, da wir wissen, dass unser Leben und unsere Arbeit von einer höheren Kraft und höheren Macht bestimmt werden. Die Welt begann nicht mit uns, aber am Beginn unseres Lebens steht die gleiche göttliche Fügung, die den Menschen erschaffen und ihm Raum und Zeit gegeben hat. Der Raum ist für uns das Karpatenbecken, die Mitte Europas. Die Zeit ist zweitausend Jahre nach der Geburt von Jesus Christus, tausend Jahre nach der Entscheidung unseres ersten Königs, mit der er die Taufe auf sich nahm und fünfhundert Jahre nach der den christlichen Glauben erneuernden geistigen und seelischen Revolution. Das ist unser Raum, das ist unsere Zeit. Das göttliche Wort lehrt uns, nicht den Zufall oder die Laune des Schicksals darin zu sehen, dass hier und jetzt an der Spitze Ungarns eine christliche, eine bekennende Regierung steht, sondern darin die Äußerung der Gnade Gottes zu spüren. Wir bekennen und nehmen es auf uns, dass Ungarn nach der Herrschaft der christenfeindlichen internationalistischen Kräfte eine Regierung braucht, die den christlichen Werten zu folgen sich bemüht. Hierin bestärkt uns, dass die ungarischen Bürger mit ihrer Entscheidung uns bereits das zweite Mal ermächtigt haben. Wir sind dankbar dafür, dass die Nation sich zusammengeschlossen, sich erhoben hat und stärker geworden ist. Wir sind dankbar dafür, dass sie auch ihre Lebenskraft, ihre Handlungsfähigkeit und ihre Tatkraft zurückgewonnen hat. Wir sind dankbar dafür, dass sie, statt sich treiben zu lassen, für ihr eigenes Leben eine Himmelsrichtung und einen Stern gewählt, eine Richtung gesetzt hat und einen Weg erbaut. Wir betrachten es als ein Privileg, dass die Fürsorge Gottes uns in dieser Erneuerung als Instrument benutzt hat, unsere Kirchen, unsere Regierung und die freien Gemeinschaften der ungarischen Bürger im gesamten Karpatenbecken. Mit Dankbarkeit erleben wir, wie die göttliche Gnade uns bei unserer Schwäche und Kraftlosigkeit half und unsere Fehler hinnahm. Wir sehen auch darin Gottes Gnade, dass obwohl wir gegen schwerwiegende Kräfte, ja auch Weltkräfte in die Schranken treten müssen, wir noch immer stehen können, wir noch immer auf den Beinen sind. In unserer Regierungsarbeit betrachten wir es als das Wesen unserer durch Gott verfügten Verantwortung, jene Anschauungsweise des Lebens zu bewahren, die auf Grund der Lehren Christi Europa und das Ungarntum groß gemacht, in den Notlagen beschützt, durch seelische, geistige und nationale Krisen hindurchgeholfen hat.
Sehr geehrte feiernde Gemeinde!
Wir verwechseln unsere Berufung nicht mit der Sendung unserer Kirchen. Unsere Berufung ist es, die aus dem Christentum emporgewachsenen Formen des Lebens zu schützen. Wir schützen die menschliche Würde, wir schützen die Familie, wir schützen die Nation und wir schützen unsere Glaubensgemeinschaften. Für uns ist dies keine Aufgabe, sondern eine Pflicht, also eine Berufung, die wir nach unserem besten Wissen und Können erfüllen müssen. Wir sehen, dass das Ungarntum und das christliche Europa der seelischen und geistigen Erneuerung bedürfen. Den hieraus auf uns entfallenden Teil übernehmen wir als freie Menschen, aus freiem Willen, aus freier Entscheidung. Die Schrift lehrt uns auch – und das bestärken unsere Regierungserfahrungen –, dass man die Seele niemals gegen den Leib ausspielen darf, die materiellen, die sozialen Bedürfnisse nie dem seelisch-geistigen Zuwachs gegenübergestellt werden sollen. Wenn wir dafür arbeiten, dass die Ungarn gut leben, dann streben wir danach, dass sie auch schön leben können, gerechter und heiterer, reicher und erhobenen Herzens. Die Reformation hat uns auch gelehrt, dass wir das gute und schöne menschliche Leben niemals dem der Herrlichkeit Gottes dienenden Leben gegenüberstellen sollen. Was für die menschliche Gemeinschaft gut ist, das preist den Erschaffenden und Befreienden Gott. Was der Herrlichkeit Gottes dient, das ist das beste, ja das oberste Gute für den Menschen.
Wir wollen nicht nur eine Zukunft, in der ein jeder Arbeit haben wird, dies haben wir beinahe schon erreicht, aber auch eine, in der jede Form der Arbeit auch der Herrlichkeit Gottes dient, vom Straßenkehren bis zum Regieren des Landes. Wahrhaftiger Gottes- und Menschen-Dienst. Die Umrisse zeigen sich schon. Brücken werden über der Donau erbaut, ungarische Universitäten in Siebenbürgen, mehrere hundert Kindergärten im Karpatenbecken, und auch heute feiern das Oberland, Transkarpatien, Vojvodina und Siebenbürgen gemeinsam. Die Wirklichkeit der friedlichen Vereinigung der Nation über die Grenzen hinweg ist sichtbar. Jedoch gibt uns jene tausendjährige biblische Kraft, die vor fünfhundert Jahren einen dermaßen alles mit sich reißenden Schwung erhalten hat, dass sie auch bis ins kleinste ungarische Heim gelangte, heute noch eine Aufgabe. Noch solch eine Aufgabe, mit der jene, die uns vorausgegangen sind, viel gerungen, aber kaum ein Ergebnis erreicht haben. Wir wissen inzwischen, dass die erkannte Wahrheit befreit. Wir haben dies in seelischen Stürmen, Prüfungen und in unseren Freiheitskämpfen erfahren, aber wie man die erkannte Wahrheit zusammenbleibend und nicht in Teile zersplittert vertreten kann, das müssen wir noch lernen. Zur endgültigen und großen Vereinigung der Nation wird jene Wahrheit notwendig sein, die nicht nur befreit, sondern uns auch zusammenhält, und nicht nur die Teile der Nation miteinander verbindet, sondern auch die ungarischen Seelen.
Sehr geehrte feiernde Gemeinde!
Ich vertraue darauf, dass man die Reformation auch so feiern kann, als etwas, das nicht die Angelegenheit einer Konfession, einer Teilgemeinschaft ist, sondern vielmehr eine Teilnahme an der gemeinsamen Berufung, mit der wir, Ungarn, betraut worden sind. Denn wir kämpfen gemeinsam und beten gemeinsam dafür, dass „Gott, segne den Ungarn!“1
Ich danke Ihnen, dass Sie mich angehört haben. Gott schütze Ungarn! Soli Deo gloria!
1 Die ersten Worte des Textes der ungarischen Nationalhymne.