12. Oktober 2017, Budapest
Eure Heiligkeit, Exzellenzen und Eminenzen! Sehr geehrte Kirchliche und Weltliche Würdenträger!
Ich begrüße Sie recht herzlich in Budapest! Heute möchte ich nicht über die europäische Christenverfolgung sprechen. Die europäische Christenverfolgung arbeitet mit verfeinerten und raffinierten Methoden der geistigen Art. Sie ist zweifellos ungerecht, diskriminierend, manchmal schmerzhaft, und wenn sie auch mit Zurücksetzung einhergeht, so kann man sie aushalten. Man kann sie nicht mit der Verfolgung vergleichen, die brutal und physisch ist, die unsere christlichen Brüder und Schwestern in Afrika und im Nahen Osten erleiden. Heute möchte ich über diese Christenverfolgung sprechen. Wir sind hier von den verschiedensten Punkten der Welt zusammengekommen, um Antworten auf eine seit langer Zeit verschwiegene Krise zu suchen. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, trotzdem gibt es etwas, das uns, die geistlichen Würdenträger der christlichen Gemeinschaften und die christlichen Politiker miteinander verbindet. Dies nennen wir auf Ungarisch die Verantwortung des Wächters. Wir lesen im Buch des Propheten Hesekiel, dass wenn der Wächter den sich nähernden Feind sieht, aber die Bewohner der Stadt nicht warnt, dann wird der Herr ihn für die Leben der Gefallenen verantwortlich machen.
Liebe Gäste!
Wir, Ungarn, mussten im Laufe unserer Geschichte zu zahlreichen Anlässen darum kämpfen, Christen und Ungarn bleiben zu können. Jahrhunderte hindurch kämpften wir an der Südgrenze unserer Heimat, indem wir das gesamte christliche Europa verteidigten, und im 20. Jahrhundert waren wir die Opfer der Christenverfolgungen der kommunistischen Diktatur. Hier im Saal gibt es viele, die älter als ich sind und die am eigenen Leibe erfahren mussten, was es bedeutet, als bekennender Christ in einem despotischen System zu leben. Deshalb stellt es für uns den herzlosen und absurden Spaß des Schicksals dar, dass wir unser Leben als Bürger einer erneut belagerten Gemeinschaft leben. Denn wenn wir auch an den verschiedensten Punkten der Welt leben, mögen wir auch in unserem Bekenntnis römisch-katholisch, protestantisch, orthodox oder koptisch sein, wir sind trotzdem Teil eines gemeinsamen Körpers, Bürger einer einzigen vielfältigen und großen Gemeinschaft. Unsere Sendung besteht in der Bewahrung und dem Schutz dieser Gemeinschaft. Diese Verantwortung fordert von uns heute zunächst, die Rede über den gegenwärtigen Gang der Dinge aus den Fesseln der politischen Korrektheit und der alles mit allem vermengenden Wortmagie der Menschenrechtler zu befreien. Die Pflicht fordert von uns, die sich um uns ereignenden Geschehnisse beim Namen zu nennen, und die uns bedrohenden Gefahren zu benennen. Die Wahrheit beginnt immer mit dem Aussprechen der Tatsachen. Es ist eine Tatsache, dass das Christentum heute die am stärksten verfolgte Religion der Welt ist. Es ist eine Tatsache, dass heute in 108 Ländern der Erde 215 Millionen Christen irgendeine Form der Verfolgung erleiden. Es ist eine Tatsache, dass 4 von 5 wegen ihrer Religion unterdrückten Menschen Christen sind. Es ist eine Tatsache, dass 2015 im Irak alle fünf Minuten ein Christ wegen seiner religiösen Überzeugung ermordet wurde. Und es ist eine Tatsache, dass wir über diese Ereignisse in der internationalen Presse kaum Meldungen sehen, und es ist eine Tatsache, dass wir auch die die Verfolgung der Christen verurteilenden politischen Äußerungen mit der Lupe suchen müssen. Dabei müsste die Welt jene Verbrechen kennenlernen, die in den vergangenen Jahren gegen die Christen verübt worden sind. Die Welt müsste verstehen, dass die Christenverfolgungen unserer Tage in Wirklichkeit globale Prozesse im Voraus anzeigen. Die Welt muss verstehen, dass die Vertreibung der im Nahen Osten und in einzelnen Teilen Afrikas lebenden örtlichen christlichen Gemeinschaften, die Tragödien der Familien und der Kinder über sich hinaus weisen: In Wirklichkeit bedrohen sie unsere europäischen Werte. Die Welt müsste verstehen, dass heute nicht mehr weniger auf dem Spiel steht als die Zukunft der europäischen Lebensweise und auch unsere Identität.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die drohenden Gefahren muss man beim Namen nennen. Erlauben Sie mir, zu sagen, dass die heute uns bedrohende größte Gefahr das gleichgültige und desinteressierte Schweigen des seine christlichen Wurzeln verleugnenden Europa ist. Dabei müsste das Schicksal der Christen im Nahen Osten Europa dafür die Augen öffnen, dass das, was dort geschieht, so unglaubwürdig sich das auch anhören mag, auch uns widerfahren kann. Demgegenüber forciert Europa heute eine Einwanderungspolitik, in der es darum geht, die Extreme, gefährliche extremistische Menschen in die EU hereinzulassen. Eine Gruppe der geistigen und politischen Führer Europas will in Europa eine gemischte Gesellschaft erschaffen, die im Laufe einiger Generationen das kulturelle und ethnische Antlitz unseres Kontinents, und zusammen damit seine christliche Identität, vollkommen verändern wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir, Ungarn, sind ein mitteleuropäisches Volk, wir sind nicht viele, auch die Zahl unserer Verwandten ist nicht hoch. Unser Einfluss, unser Gebiet, unsere Bevölkerung, unsere Armee ist nicht bedeutend. Wir wissen, wo unser Platz in der Reihe der Völker der Welt sich befindet. Wir sind ein europäischer Staat mittlerer Größe, es gibt viel größere als uns, die dementsprechend auch eine viel größere Verantwortung als wir tragen müssten. Jetzt hat es sich trotzdem so ergeben, dass wir, Ungarn, die initiierende Rolle auf uns nehmen. Dafür gibt es gute Gründe. Ich sehe es, ich weiß es auf Grund meiner Treffen, wie viele gutgesinnte und wahre christliche Politiker es in Europa gibt, doch sind sie nicht stark genug. Sie sind in Koalitionsregierungen tätig, sind den von ihnen auf eine abweichende Weise denkenden Medien ausgeliefert, sie besitzen keine ausreichende Kraft, politische Kraft, um entsprechend ihrer Überzeugung zu handeln. Ungarn ist aber trotzdem, obwohl es nur ein europäischer Staat mittlerer Größe ist, in einer anderen Lage. Dies ist ein stabiles Land, die gerade die Regierung führende politische Kraft hat zweimal mit einer Zweidrittelmehrheit die Wahlen gewonnen, das wirtschaftliche Hinterland ist, wenn auch nicht gewaltig, so doch stabil, und auch das öffentliche Denken ist gesund. Dies bedeutet, dass wir in der Lage sind, unsere Stimmen für die verfolgten Christen zu erheben. Anders gesagt: Für die Ungarn gäbe es in einer derart stabilen Lage keine Entschuldigung dafür, wenn sie nicht handeln und die ihrem christlichen Glauben entspringende Pflicht auf sich nehmen. So hat das Schicksal, hat der Liebe Gott Ungarn in die Lage gebracht, unabhängig von seinen Ausmaßen eine initiierende Rolle auf sich nehmen zu müssen. Wir sind stolz darauf, dass wir seit mehr als tausend Jahren zu der großen Familie der christlichen Völker gehören. Auch das bedeutet eine Verpflichtung.
Sehr geehrte Gäste!
Für uns ist Europa ein großer christlicher Kontinent, und als solchen wollen wir ihn auch bewahren. Wenn wir dies auch nicht im Falle des ganzen Kontinents tun können, so doch wenigstens jenen Teil, den der Liebe Gott den Ungarn gegeben hat. Auf Grund all dessen haben wir die Entscheidung getroffen, unseren christlichen Mitmenschen, die die Verfolgung erleiden und außerhalb Europas leben, gemäß unserer Kraft zu helfen. Das Interessante der Entscheidung besteht nicht darin, dass wir zu helfen versuchen, sondern vielmehr in der Art und Weise der Hilfe. Wir haben den Lösungsweg gewählt, die Hilfe unmittelbar den Kirchen der verfolgten Christen zukommen zu lassen. Wir nutzen nicht die in der Welt bereits früher etablierten Kanäle, die im Rahmen internationaler Hilfen nach bestem Können versuchen, den Verfolgten zu helfen. Unserer Einschätzung nach ist es die beste Art und Weise der Hilfe, wenn wir die Ressourcen unmittelbar den Kirchen der verfolgten Gemeinschaften zukommen lassen. Unserer Ansicht nach rentiert sich dies am besten, wird auf diese Weise am vollkommensten genutzt und so besteht eine Garantie dafür, dass die Hilfe tatsächlich dort ankommt, wo sie ankommen soll. Und da wir Christen sind, unterstützen wir die christlichen Kirchen, lassen ihnen diese Ressourcen zukommen. Ich könnte auch sagen, dass wir genau das Gegenteil dessen machen, was heute in Europa getan wird. Wir sind der Ansicht, dass nicht das Problem hierher geholt werden muss, sondern die Hilfe muss dorthin gebracht werden, wo sie benötigt wird.
Liebe Freunde!
Nach unserer Auffassung ist es das richtige Verhalten, wenn wir die Tugenden ausüben, darüber nicht zu reden. Auf diese Weise vermeiden wir es, im Interesse der guten Einschätzung durch andere oder aus Berechnung das Gute zu tun, denn dieses muss von Herzen und zum Ruhm Gottes kommen. Trotzdem ist es jetzt meine Aufgabe, auch über die Fakten der guten Tat zu sprechen. Meine Entschuldigung dafür ist, dass ich all das aus dem Grunde mitteile, um uns allen zu beweisen, dass die Politik in Europa nicht notwendigerweise ohnmächtig gegenüber der Christenverfolgung ist. Ich werde jetzt über einige gute Taten sprechen, damit diese anderen vielleicht als Beispiel dienen und sie auch zu guten Taten veranlasst werden. Ich bitte Sie, alles das, was ich jetzt sagen werde, dementsprechend aufzunehmen. 2016 haben wir das stellvertretende Staatssekretariat gegen Christenverfolgung ins Leben gerufen, das in Zusammenarbeit mit den Kirchen, den zivilen Organisationen, der UNO, dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und dem Europäischen Parlament den Kontakt mit den verfolgten christlichen Gemeinschaften hält und Hilfe leistet. Wir machen das, was nach Ansicht der örtlichen kirchlichen Führer wir machen müssen, was ihrer Meinung nach am wichtigsten ist, und ich habe von ihnen gelernt, dass es am wichtigsten ist, Hilfe zur Rückkehr und zur Zurücksiedelung zu geben. Wir, Ungarn, möchten, dass die syrischen, die irakischen und die nigerianischen Christen so früh wie möglich wieder dorthin zurückkehren können, wo ihre Vorfahren schon seit Jahrhunderten gelebt haben. Dies nennen wir ungarische Solidarität, oder wie es hier hinter mir zu lesen steht: „Hungary helps.” Deshalb haben wir beschlossen, ihnen bei der Wiederherstellung ihrer Häuser und ihrer Kirchen zu helfen, doch Dank der Ökumenischen Hilfsorganisation bauen wir auch Gemeinschaftshäuser im Irak, in Syrien und im Libanon. Wir haben auch ein spezielles Stipendienprogramm für die jungen Angehörigen der christlichen Familien, die die Verfolgung erleiden mussten; ich freue mich, einige von ihnen heute hier begrüßen zu können. Ich bin überzeugt davon, dass sie, nach ihren Studien in Ungarn, nachdem sie wieder zu ihrer Gemeinschaft zurückgekehrt sein werden, sie deren bestimmende und den Zusammenhalt fördernde Mitglieder sein werden. Und wir arbeiten unter Mitwirkung der Katholischen Péter-Pázmány-Universität auch an der Erschaffung einer durch Ungarn gegründeten Universität. Zur Wiederherstellung der demolierten Wohnhäuser in der irakischen Stadt Telsqof hat die Regierung 580 Millionen Forint Unterstützung geleistet, Dank der mehrere hundert, derzeit als innere Flüchtlinge lebende irakische christliche Familien wieder in ihre Heime werden zurückkehren können, so hoffen wir. Und wir unterstützen auch die humanitäre Tätigkeit der Syrischen Katholischen und der Syrischen Orthodoxen Kirchen von Antiochien. Ich möchte noch erwähnen, dass das ungarische Parlament mit der Unterstützung aller Parteien – das mag sich für ausländische Ohren als nichts Besonderes anhören, aber glauben Sie mir, hier in Ungarn ist das beispiellos, ich erinnere mich gar nicht, wann so etwas zuletzt geschehen war – einen Beschluss angenommen hat, der die Verfolgung der Christen verurteilt und die Regierung dabei unterstützt, Hilfe zu leisten, der die Tätigkeit des Islamischen Staates verurteilt und den Internationalen Gerichtshof auffordert, ein Verfahren wegen der Verfolgung, der Unterdrückung und der Ermordung der Christen einzuleiten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wenn wir die Heimkehr der verfolgten Christen unterstützen, dann erfüllen die Ungarn in Wirklichkeit eine Mission. Unser Grundgesetz sagt nämlich – über das hinaus, was der Herr Bischof bereits ausgeführt hat – auch aus, dass wir, Ungarn, auch verfassungsmäßig die die Nation erhaltende Kraft des Christentums anerkennen. Und wenn wir dies für uns selbst anerkennen, dann anerkennen wir dies auch für die anderen Nationen, das heißt wir wollen, dass in Syrien, im Irak und in Nigeria die wieder heimkehrenden christlichen Gemeinschaften auch für ihre eigene Heimat eine derartige, die Nation erhaltende Kraft sein sollen, wie das Christentum für uns Ungarn eine erhaltende Kraft ist. Auch von hier aus dränge ich die Politiker Europas und bitte sie, die politisch korrekte Sprechweise beiseitezuschieben, die Vorsicht im Zusammenhang mit den Menschenrechten beiseitezuschieben, und ich bitte sie, ich dränge sie dazu, alles was in ihrer Macht steht, im Interesse der verfolgten Christen zu unternehmen.
Soli Deo gloria!