4. November 2015, Budapest

Dear President, Your Royal Highness, Commissioner, Distinguished Guests,

Welcome to Budapest. First of all I have to apologize for not speaking in English. As you know, we are in Budapest, and as you know, each job has its duties. And taking into consideration that I am currently the Prime Minister here in Hungary, I have to use our native language. But those, who don’t use the translation can easily realize our splendid linguistic isolation.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Es ist eine große Freude und eine Auszeichnung für Ungarn, dass die Ungarische Akademie der Wissenschaften erneut aus aller Welt die herausragenden Vertreter der Wissenschaft, bekannte Fachleute der Wissenschaftspolitik, die Entscheidungsträger, die sich mit dem Beziehungssystem zwischen den Wissenschaften und der Gesellschaft beschäftigenden Experten und die interessierten Berichterstatter der Medien zu Gast hat. Viele von Ihnen werden sich daran erinnern können, dass wir uns vor vier Jahren an ebendieser Stelle getroffen haben. Damals war die Wirtschaftskrise unser zentrales Thema, denn damals arbeiteten wir gerade daran, wie wir den im Morast stecken gebliebenen Karren Europas aus ihm herausziehen konnten.

Sehr geehrte Gäste!

Hier, in den Ländern der westlichen Welt, kann die Zuhörerschaft sicher sein, wenn ein führender Politiker das Podium betritt, dann wird er über die Migration, über die Ursachen der Völkerwanderung der Neuzeit, über die den Anstoß gebenden Triebfedern, über die Auswirkungen und Folgen dieser ungeheuer riesigen Menschenbewegung sprechen. Wir können auch kaum etwas anderes tun. Es gibt einen östlichen, als guter Wunsch verkleideten Fluch, der da heißt: Erlebe interessante Zeiten. Wir in Europa tun dies gerade.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir erleben interessante, ja vielmehr: verrückte Zeiten. Der Druck einer Völkerwanderung riesigen Ausmaßes lastet auf Europa. Die ganze Welt beobachtet mit Erschütterung, was hier geschieht. Vielleicht aus jeweils anderen Gründen, mit unterschiedlichen Empfindungen, jedoch ein jeder mit Erschütterung. Wir müssen einer Flut von aus den Ländern des Nahen Ostens herausströmenden Menschen ins Auge sehen, während sich auch die Tiefen Afrikas bewegt haben. Viele Zehnmillionen Menschen bereiten sich vor. Der Wunsch, die Veranlassung und der Zwang, ihr Leben irgendwo anders fortzusetzen, als wo sie es begonnen haben, nehmen im globalen Maßstab zu. Dies ist eine der größten Menschenfluten der Geschichte, die die Schatten tragischer Folgen voraus wirft. Eine neuzeitliche Völkerwanderung im Weltmaßstab, deren Ende man nicht absehen kann, bestehend aus die Hoffnung auf ein besseres Leben suchenden Wirtschaftseinwanderern, Flüchtlingen und sich treiben lassenden Massen. Dies ist ein unkontrollierter und ungeregelter Prozess, dessen exakteste Bestimmung – da ich vor einem aus Wissenschaftlern bestehenden Publikum spreche – die „Überflutung” ist. Ja, Europa wird überflutet, und dieses Gefühl wird auch dadurch nicht gemildert, dass wir sehen, die an die Kriegsregionen angrenzenden Länder befinden sich in einer noch viel schwierigeren Lage als wir. Unser Kontinent hat noch nicht das Gewicht dessen verstanden, dass seine Kultur, seine Lebensweise, die bisherige Ordnung seines Lebens herausgefordert worden sind.

Als ob wir noch nicht sehen wollen würden, dass die westliche Welt einer derartigen Herausforderung eines niemals zuvor gesehenen Ausmaßes gegenübersteht, die sie zerbrechen und die bisher bekannten Formen unseres Lebens auch unter sich begraben könnte. Es geht also um sehr viel. Zugleich weist all das, was geschieht und was geschehen wird oder was wir geschehen lassen weit über die Grenzen Europas oder die der westlichen Zivilisation hinaus. Und dies ist auch dann noch wahr, wenn der Schwerpunkt der Krise in der westlichen Zivilisation verankert ist. Denn hinter den Prozessen zeichnet sich im Ganzen die neue Landkarte einer kulturellen, Weltmacht- und Weltmarktsumstrukturierung ab. Und auf dieser Landkarte werden wir, wenn wir nicht aufpassen, auch Veränderungen sehen können, die weit reichende politische und sogar bewaffnete Konflikte zur Folge haben können. Deshalb sage ich, dass der auf uns lastende Migrationsdruck globaler Natur ist und auch die durch die gegenwärtige Migration aufgeworfenen Fragen globaler Natur sind, deshalb wäre es auch vernünftig, wenn die ganze Welt im Umgang mit ihr eine Rolle übernehmen würde. Die Bewahrung des Friedens, das Unter-Kontrolle-Behalten der großen Wandlungsprozesse und die Bewahrung der Stabilität der politischen Führungen ist unser aller gemeinsames Interesse, ganz gleich zu welchem Kontinent wir auch gehören sollten.

Sehr geehrte Gäste! Sehr verehrter Herr Präsident!

Was folgt aus all dem für die wissenschaftliche Gemeinschaft der Welt? Beginnen wir vielleicht damit, dass wir die Regeln des gesunden Verstandes befolgend sagen können, dass es letztlich zwei Arten von Menschen gibt. Die eine, die betrachtet, was existiert, und die andere, die das betrachtet, was nicht existiert. Der Mensch des einen Typs denkt darüber nach, was schon existiert, und der andere Mensch darüber, was noch nicht existiert. Die eine Art von Mensch ist in die Probleme der Gegenwart eingeschlossen und er sucht in seinem vorhandenen Inventar nach Antworten. Die andere Art von Mensch geht davon aus, dass die Welt immer mehr ist, als das, was wir gerade sehen oder was wir von ihr kennen, und deshalb ist er bereit, neue Fragen zu stellen und neue Antworten zu finden. Es ist mein persönliches Erlebnis, dass wir gegenwärtig in der Politik in erster Linie Menschen bräuchten, die über die letztere Fähigkeit verfügen. Bei diesem Nachdenken kann die Wissenschaft für uns eine große Hilfe sein, zu deren Wesen die Suche nach dem dazugehört, was noch nicht ist, was wir noch nicht kennen, was wir noch nicht wissen. In Krisenzeiten nimmt immer die Bedeutung jener zu, die das Leben mit solch einem Auge betrachten und in ihm das sehen wollen, was vor ihnen zuvor noch niemand gesehen hat. Letztendlich ist es nicht schwer, einzusehen, dass im Grunde die Krise nichts anderes ist als die Angst davor, dass wir keine weiteren Möglichkeiten haben, dass wir nicht über das entsprechende Wissen, die Kraft verfügen und vielleicht auch kein Mittel zur Fortsetzung der gewohnten Ordnung des Lebens haben. Diese Forschung gibt auch unserem jetzigen Zusammensein und der Anwesenheit der Politik hier auch ihren Sinn: Wir suchen gemeinsam die aus den neuen Herausforderungen entspringenden neuen Möglichkeiten. Deshalb glaube ich, dass dieses Forum und in der heutigen Zeit jede diesem ähnelnde Zusammenkunft und Beratung eine außerordentliche Bedeutung besitzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Auf welche Weise die Welt den früher unbekannten Herausforderungen ins Auge blickt, hängt zum Großteil vom Mut der Handelnden und der Verantwortung der Wissenschaftler ab. Wir müssen gemeinsam versuchen, auch unter den Bedingungen der Krise zu bestätigen, dass wir immer noch über Möglichkeiten verfügen und in der Lage sind, zu Lösungen zu gelangen, durch die wir die im globalen Maßstab auftretenden Herausforderungen überwinden können. Wir alle wissen, dass das wahre Wissen dient, und nicht herrscht. Die die Welt des „vorerst noch nicht Vorhandenen” suchende Wissenschaft dient dem Leben und beschäftigt sich mit Fragen, die im Leben der Menschen eine bedeutende Rolle spielen. Wenn wir uns auf diese Weise an die Aufgabe solcher Beratungen annähern, dann ergeben sich die auf eine Antwort wartenden wesentlichen Fragen beinahe von selbst, die wir hier den ganzen Tag hindurch aufzählen könnten: so wie die Fragen der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung, der Energiegewinnung und der Energiewirtschaft, die Ausbeutung der Umwelt und der Natur, der landwirtschaftliche Boden, die Wasservorräte oder die Bevölkerungsprobleme. Wichtig sind auch die mit der menschlichen Lebensführung zusammenhängenden Fragen, in den entwickelteren Teilen der Welt die aus dem verschwenderischen Konsum sich ergebenden gesellschaftlichen Herausforderungen. In der ärmeren Hälfte der Welt die Überbevölkerung, der Lebensmittelmangel, die in Kriege mündenden gesellschaftlichen Spannungen, die zusammen auch die globale Migration auslösen.

Für uns, die wir uns hier auf diesem Forum versammelt haben: Wissenschaftler, Wirtschaftsführer und Politiker, lohnt es sich, eine Sache vor Augen zu halten, dass vielleicht die Arbeit von uns allen durchdrungen sein sollte von dem Respekt vor dem Ziel. Die Politik, die Wirtschaft und auch die Wissenschaft sollten nicht vergessen, dass kein Bereich von ihnen zum Selbstzweck werden darf. Wir wollen unseren Mitmenschen Lösungen anbieten und dies erfordert Nüchternheit und vielleicht eine tiefere Demut als jemals zuvor. Wie ich es erwähnt habe, die Geschichte hat sich bewegt, und wenn wir nicht aufpassen, begräbt uns die Wirklichkeit unter sich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!