23. Juni 2020, Budapest
Sehr geehrte Trauergemeinde!
Dem uns vorbestimmten Ziel kann man auf verschiedenen Wegen entgegengehen. Es gibt manche, die zuerst zurückblicken, um dann besonnen, im Besitz des sicheren Wissens vorauszublicken. György Fekete gehörte zu ihnen. Zu jenen, die wissen: „Die ungarische Vergangenheit besitzt eine erhaltende Kraft, und diese Kraft ist in der Lage, die Gegenwart zu erdulden und auch die Zukunft zu ertragen.” Ich habe zunächst nach vorne gesehen. Ich war jung, hatte genug von dem jahrzehntelangen Treten auf einer Stelle. Ich wollte gehen, wir wollten gehen, den Weg nach vorne errichten, denn die Zukunft hatte ja begonnen. Und als in dem großen Gerenne der Horizont unsicher wurde, blickte ich zurück, um zu sehen, woher wir doch kommen, in welche Richtung es sich lohnt weiterzugehen, in welche Richtung weiter geschritten werden muss. Und als er sich umdrehte, um nach vorne zu blicken, und ich zurücksah, da trafen sich unsere Blicke. Daraus ist nicht sofort ein Bündnis oder eine Freundschaft geworden. Doch die Zeit kann ein großer Helfer werden, wenn wir nicht die Körner der Sanduhr in ihr sehen, die dann doch irgendwie verrieseln, sondern die Zeit als eine nicht wiederkehrende Möglichkeit zum Handeln betrachten. Wir beide trafen uns auf dem Weg der Verwirklichung eines großen Werkes. Ich habe es von Imre Makovecz als Befehl erhalten, und György Fekete wurde zum Vollstrecker des Testaments von Imre Makovecz. Sie wussten beide mit vollkommener Gewissheit, dass die ungarische Kultur ohne zuverlässig wirkende und der ungarischen Künstlergemeinschaft ein sicheres Obdach gebende Investitionen großen Formats nicht in der Lage sein würde, ihre besondere Kraft zu entfalten. Der Befehl und das Testament lauteten, die Ungarische Akademie der Künste solle die gemeinsame Körperschaft werden, und wenn es schon eine Zweidrittelmehrheit gegeben hat, haben wir es auch in das Grundgesetz der Ungarn aufgenommen.
Sehr geehrte Trauernde!
Zahlreiche Mitglieder der Generation von György Fekete, denn in jeder ungarischen Generation gibt es auch zahlreiche solche Mitglieder, verbanden sich im extremen Zorn, um – wie es in der ungarischen Übersetzung der „Internationale“ heißt – „die Vergangenheit endgültig auszulöschen“. Er gehörte aber zu jenen Mitgliedern seiner Generation, die rastlos die tausendjährigen Schätze der ungarischen Nationalkultur sammelten und bewahrten. Er meinte, dies schaffe die Fähigkeit des Überlebens, und das sei, nur das sei die für uns, Ungarn auch dann die angemessene Position, wenn wir uns, den Kulturen anderer Nationen begegnend, in die Welt eingliedern. Es ist die besondere Gerechtigkeit des Schicksals, dass die Aufgabe der Gründung der neuen Institutionen jenen zufiel, die den größten Teil der Zeit ihres Lebens – wie er es formulierte – „auf die Weise im unterirdischen Ungarn innerhalb des Sozialismus lebten, dass sie außerhalb des Sozialismus verblieben”. Anscheinend haben sich die Ungarn den Schutz des lieben Gottes verdient. Deshalb ist es so, dass unter uns immer große Geister, Genies, Menschen mit Talent geboren werden, die die uns umgebenden Räume gestalten und formen, und auf diese Weise die ungarische Welt bereichern. Aber auch die Schöpfungen, die geistige, seelische Energie der Großen bedürfen der Struktur, der sie überlebenden Rahmen, der Ordnung der Dinge, der Institution, aus der dann Gepflogenheit und Lebenspraxis wird. Die einstigen Benediktiner von Pannonhalma, die Reformatoren des 16. Jahrhunderts, die Széchenyis und Kunó Klebelsbergs haben aus diesem Grund Schulen, Museen, Akademien, Institutionen, Zeitschriften, Salons und Vereine gegründet, die dazu berufen waren, die Kontinuität und Beständigkeit der Schaffenden und der Schöpfungen gegenüber der Zerstörung, der Vergänglichkeit und dem Vergessen zu repräsentieren. Bei diesem gemeinsamen Aufbau sind wir uns mit György Fekete begegnet und sind einander Arbeits- und Waffenbrüder geworden. Ihm ermöglichten die verschiedensten Materialien die schöpferische Tätigkeit: Holz, Metall, Stein, Glas, und er hauchte ihnen eine Seele und einen Geist ein – damit wieder ist, was war, und endlich auch das sei, was nicht war, was es aber hätte geben können, und was es geben muss. Und für uns, die Soldaten des öffentlichen Lebens, ist das Regieren unser Instrument, mit dem wir den geistigen, den seelischen Energien Möglichkeit, einen Rahmen zur Inkarnation schaffen. Dies war das Fundament unseres Bündnisses.
Sehr geehrte Trauernde!
Der Aufbau beginnt immer von innen. Das war seine Philosophie. Dort drinnen muss das geboren werden, das sich dann einen Weg ebnet und eine Gestalt, eine Form annimmt. Das ist die Botschaft jenes scheinbar technischen Ausdrucks: „Innenarchitekt“. Und diese Berufung gehörte zum Wesen von György Fekete. Wie oft hat er mir immer bitterer vorgebracht, dass die Innenarchitektur endlich ein eigenes Universitätsfach sein soll? Ihn hat interessiert, ihn hat erregt, was sich hinter den Oberflächen befindet: Die innere Struktur, die Festigkeit gibt. Das, was von innen nach außen gebaut wird, wie die Schale auf den Apfel, das Haus auf die Schnecke. „Ich bin innen, und ich entwerfe um mich.”, sagte er. So denkt der, der jahrzehntelang nur drinnen, in sich das Wesen der nationalen Kultur tragen darf. Der, der 1956, im Alter von 23 Jahren inmitten der Belagerung des Ungarischen Rundfunks einen Abschiedsbrief schreibt und diesen zwischen den Büchern des italienischen Kulturinstitutes versteckt, damit er Jahrzehnte später, bereits in der Zeit des freien Ungarn von jemandem gefunden wird. Der, der 15 tausend Darstellungen der Heiligen Krone sammelt. Der, für den die Verteidigung der nationalen Kultur und des Nationalstaates zusammengehören. So denkt der, den die Unterschiedlichkeit der Instrumente der Künstler und der Politiker nicht täuscht, denn er weiß, in ihrem Wesen sind es miteinander verwandte Metiers. Jedenfalls hier in Ungarn sind sie es mit Sicherheit. Deshalb tauchte er für die Zeit eines kurzen Abenteuers in die Welt der Parteipolitik ein.
Sehr geehrte Trauernde!
Man pflegt zu sagen, die Kultur sei ein Terrain des Kampfes. Heute sehen wir dies mit Erschrecken, wenn wir in den Westen blicken. Aber hier in Ungarn und ganz besonders für György Fekete bedeutete dieser Kampf etwas anderes. Eine Auseinandersetzung, in der wir nie gegen andere, sondern immer für uns selbst kämpfen. Wir, Ungarn, wollen das Bündnis des nationalen Engagements und der ihr eigenes Prinzip verwirklichenden künstlerischen Bestrebungen, so wie er das im Glaubensbekenntnis der Ungarischen Akademie der Künste formuliert hat. György Fekete hatte es verstanden, dass in dieser Gegend der Welt, in unserer Kultur sich die Wahrheit, die Schönheit und das Gute miteinander gegen das Böse, die Kräfte des großen Auseinanderwerfers verbündet hatten. Glücklich ist das Land, das solche Söhne hatte, hat und haben wird. Es ist unsere Aufgabe, den Gedanken, den Willen, das Werk und die Werke an den ihnen angemessenen Platz zu heben, oder vielmehr: Sie in würdiger Form, in Ordnung, in Institutionen weiterzuführen, damit sich die kulturelle Leistung Ungarns immer nur weiter aufbauen kann, in die Höhe, hinauf, Richtung Himmel. Das Leben György Feketes soll uns daran erinnern, dass die ungarische Kultur jene schöpferische und erhaltende Kraft ist, ohne die man nicht nur überleben, sondern auch nicht leben kann. Und vielleicht lohnt es sich auch gar nicht. Aber wenn wir in ihr wurzeln fassen, uns aus ihr ernähren, aus ihr unsere Inspiration beziehen, wenn wir sie sich entfalten lassen, dann werden wir nicht nur erhalten bleiben, sondern werden all das zurückerlangen, ja sogar vermehren, was jene, die uns vorausgegangen sind, uns hinterlassen haben.
Sehr geehrte Trauernde!
György Fekete hat uns, die wir das letzte Drittel unseres Lebens betreten, auch eine ernsthafte Lebenslehre hinterlassen. „Man muss sich nicht darum kümmern, was über das, was du machst, gesagt wird, wem es gefällt, wem es nicht gefällt, was die Kritik darüber sagt und ob es mitgeteilt wird. Wichtig ist, dass Du es gemacht hast. Wenn du vom Schöpfer einen Wink erhalten hast, wozu du bestimmt bist, dann muss es gemacht werden. Was in dir ist, das muss erfüllt werden, du musst es aus dir herauslassen und man muss genauso leer in das Jenseits, in den Tod gehen, wie leer man geboren worden war. Es schadet nicht, das Leben zu planen, am besten muss man aber das Alter planen. Für niemanden eine Belastung sein, doch sollen aus dem, was noch in mir ist, Werke geboren werden können.” Ich würde nur so viel hinzufügen, ich sehe mit Freude, dass Dir dies gelungen ist. Du bist glücklich von uns gegangen.
György Fekete, Herr Professor, ewiger Herr Vorsitzender, lieber Freund!
Ruhe in Frieden in der Hoffnung der glücklichen Wiederauferstehung!