2. Juni 2017

Éva Kocsis: Es ist drei und halb Minuten nach halb acht. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán, guten Morgen!

Guten Morgen, ich begrüße die Zuhörer!

Es entspricht nicht den Tatsachen, ist täuschend. Das sind einige Formulierungen aus der Mitteilung der Europäische Kommission im Zusammenhang mit der Nationalen Konsultation, und dann dementieren sie Punkt für Punkt die in den Fragen formulierten Behauptungen. Warum glauben Sie, dass wenn Sie die eingesandten unterschriebenen Konsultationsbögen Brüssel auf den Tisch legen, Sie die dortigen Politiker aufhalten oder zumindest in Rührung versetzen können?

Zunächst einmal hat die ungarische Regierung den Brüsseler Bürokraten jenes fachliche Material zugesandt, das den Sinn der in der Konsultation gestellten Fragen beleuchtet. Hier gibt es sprachliche Schwierigkeiten, leider muss ich das einsehen, ich würde nicht glauben, dass sie das, was dort geschrieben steht, nicht verstehen wollen – sie können es nicht. Es gibt also kulturelle Kontexte, in Brüssel sind die kulturellen Hintergrundfaktoren ganz einfach andere. Wenn wir sagen „Stoppen wir Brüssel!“, was soviel bedeutet, dass wir weiter keine Zuständigkeiten an Brüssel übergeben wollen, wir also den gegenwärtigen Status quo verteidigen, wir das Recht zur Festlegung der Reduzierung der Haushaltsnebenkosten oder des Strompreises, das Recht zur Festsetzung von Steuern, von Arbeitslöhnen nicht abgeben, den Zaun nicht abbauen wollen, und so weiter, wenn wir also sagen, „Stopp, keinen Schritt weiter!“, dann verteidigen wir den gegenwärtigen Status quo. Dies kann aus irgendeinem Grund – und wenn wir an dieser Stelle die Böswilligkeit streichen, und ich schlage vor, dies zu tun – dann nur ein kulturelles Problem sein. Sie interpretieren dies als Europafeindlichkeit, obwohl man auf Grund der Regeln der ungarischen Sprache, wenn wir einen bestehenden Zustand – den wir noch dazu gemeinsam mit Brüssel ausgebildet haben – verteidigen wollen, dann kann man ihn nicht als europafeindlich werten, sondern es lohnt sich, ihn als einen Standpunkt in der Debatte über weitere Veränderungen zu betrachten. Wir haben all dies niedergeschrieben, schön erklärt, geduldig, wie das sein muss, und haben es nach Brüssel geschickt.

Sie werden dies also dort in Brüssel auf den Tisch legen, und Sie werden jene Bitte an die dortigen Brüsseler Bürokraten richten, wie Sie formuliert haben, dass...?

Nun, ich werde sagen, zum Beispiel wenn sie uns auf unserer anstehenden, nächsten Sitzung, die irgendwann im Juni fällig ist, ein Ansiedlungsprogramm werden aufzwingen wollen, dann werde ich nur soviel sagen, dass ich das Veto einlege, in Hinblick darauf, dass die ungarischen Wähler eindeutig gemacht haben, dass sie dieses Recht nicht Brüssel übergeben möchten, und wir selbst zu bestimmen wünschen, mit wem wir zusammenleben. Oder wenn wir in der Angelegenheit der Energieunion abstimmen müssen, dann werde ich sagen, ich stimme nicht für diese Vereinbarung, wenn sie Passagen enthält, nach denen der Preis der Energie vom Markt oder von Brüssel bestimmt wird, und nicht von der ungarischen Regierung. Und ich könnte noch Weiteres aufzählen. Die Positionen der ungarischen Regierung werden dadurch gestärkt, ihr Gewicht vergrößert und ihre Entschlossenheit offensichtlich gemacht.

Wenn Sie schon Brüssel genannt haben – und wir werden auf das eben Aufgezählte noch zurückkommen –, nun, wenn Sie schon Brüssel erwähnt haben, dort...

Aber Verzeihung, wenn wir schon hier einen Kopfsprung hinein in diese Angelegenheit gemacht haben, dann lassen Sie mich doch das Wichtigste erwähnen, und dies ist, dass wir uns bei den 1 Million 700 tausend Menschen bedanken möchten, die sich die Mühe gemacht haben, den Beweis geliefert haben, dass Ungarn kein Land in der Apathie ist, Ungarn kein gleichgültiges Land ist, die ungarischen Menschen sehr wohl von den Dingen der Welt unterrichtet sind, es sie interessiert, was geschieht, und wenn man ihnen die Möglichkeit gibt, sie dann auch ihre Meinung sagen, und über ausreichende verstandesmäßige Fähigkeiten und über die Urteilskraft verfügen, um in diesen Dingen Stellung zu nehmen – und sie tun dies auch unverzagt. Für mich ist das eine große Ermutigung, denn die Arbeit meiner Regierung gründete sich auch schon immer darauf, dass ich in den wichtigsten Fragen versuche, die Menschen in unsere Entscheidungen in möglichst breitem Rahmen miteinzubeziehen. Die Nationale Konsultation ist eine demokratische Form der Willensbekundung, der Entscheidungsfindung. Wir haben sie schon mehrfach genutzt, und bisher war diese die erfolgreichste. Ich danke also einem jeden, der an ihr teilgenommen hat.

Es gibt auch eine Stellungnahme von George Soros, der im Übrigen in den vergangenen Tagen in Brüssel war, und der auch einen Artikel, einen Meinungsartikel im Zusammenhang mit der Sache der Union, der Migration und mit Ungarn veröffentlicht hat. „Ich habe gelernt, dass man die Demokratie nicht aus dem Ausland liefern lassen kann, das Volk selbst muss sich diese erkämpfen und sie verteidigen. Ich bewundere den Mut der Ungarn, mit dem sie sich gegen das Blendwerk und die Korruption des Mafiastaates von Orbán wehren, und die energische Antwort der europäischen Institutionen auf die aus Polen und Ungarn kommenden Herausforderungen gibt Anlass zur Hoffnung. Der vor uns stehende Weg ist gefährlich, aber ich sehe in dieser Auseinandersetzung die Möglichkeit, dass Europa noch auferstehen kann.“ Es gab Interpretationen, nach denen dies eine Kriegserklärung sei. Es gab auch Stimmen, dass nun endlich jemand sich getraut hat, die Wahrheit auszusprechen. Wie lautet Ihre Antwort hierauf?

Das ist eine Kriegserklärung, darüber sollten wir keine Zweifel haben. Hier steht also ein Finanzspekulant vor uns, der ungeheuerlich viel Geld auf die Weise gesammelt hat, dass er damit andere Menschen in Probleme gebracht, viele auch ins Elend gestürzt hat. Er hat viele Milliarden Dollar auf diese Weise gesammelt, und er nutzt dieses Geld, um in der Welt Veränderungen zu verursachen, innerhalb dieser auf dem europäischen Kontinent und in Ungarn. Er bezahlt agentenartige Netzwerke. Diese werden in der internationalen Sprache als NGOs bezeichnet. Zivil würde ich sie nicht nennen, das bedeutet hier, in Ungarn, etwas ganz anderes. Er bezahlt ein Netzwerk, viele tausend Menschen – das sind Aktivisten, in Wirklichkeit politische Angestellte –, und sie arbeiten, um die von George Soros festgelegten Ziele durchzusetzen. Dies bedeutet hier und jetzt, konkret in Ungarn, dass George Soros in einem seiner anderen, früheren Artikel offen deklariert hatte, man müsse jährlich eine Million von Migranten nach Europa hereinbringen, dazu wird er übrigens den Europäern einen Kredit geben, auch das hat er geschrieben. Und das Hindernis ist Ungarn, weil George Soros heute aus dem Grunde keine Million von Migranten nach Europa hereinbringen kann, weil dies die ungarische Regierung nicht zulässt. Die ungarische Regierung verteidigt die Grenzen, sie hat einen Zaun gebaut, und unter solchen Bedingungen ist die Durchführung des Sorosschen Drehbuchs und Planes unmöglich. George Soros besitzt in Ungarn Unterstützter, es gibt Kräfte, die sein Programm verwirklichen wollen und nicht das, was die ungarischen Menschen wollen. Die politische Linke ist in vollem Umfang so. Der Bürgermeister von Szeged, László Botka, hat auch angekündigt, er werde den Zaun abbauen. Das ist genau das, was auch George Soros möchte. Es gibt also einen Soros-Plan, und auch die ungarischen Wähler besitzen einen Plan. Diese beiden Dinge stehen einander gegenüber. Und am gestrigen Tag hat George Soros gesagt, koste es, was es wolle, er wird seine eigenen Überlegungen durchsetzen. Dies ist eine Kriegserklärung.

Es gibt unter den von ihm formulierten Behauptungen einige, die man unter den geplanten Maßnahmen der Europäischen Union wiedererkennen kann. Auf dem NATO-Gipfel, da wurde die Frage der Migration, da wurden die europäischen Angelegenheiten in einen breiteren Kontext gestellt. Wie war dies dort wiedererkennbar?

Selbstverständlich. Aber wie soll ich es jetzt sagen, man könnte auch darüber sprechen (vielleicht haben Sie Recht und es lohnt sich gar nicht, mehr Aufmerksamkeit hierauf zu richten), dass der Sorossche Standpunkt – jetzt einmal ganz davon abgesehen, dass er elitär und antidemokratisch ist, denn er will entgegen des Willens der ungarischen Menschen uns etwas aufzwingen – zugleich auch beleidigend ist. Also auf diese Weise über Ungarn zu reden, über ein Land, dass im Jahr 2010 am Rande des finanziellen Bankrotts stand, sich ohne ausländische Hilfe zusammengenommen hat, mit seinem eigenen Geld, also nicht mit dem Geld der Deutschen, nicht mit dem Geld der EU, seine Angelegenheiten geordnet hat, heute in Europa als eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte gilt, auf eigenen Beinen stehen kann. Damit dies eintreten konnte, haben sehr viele Menschen gearbeitet, jetzt spreche ich nicht nur über die Regierung, ja, in erster Linie nicht über sie, sondern von den ungarischen Menschen. Wir haben große Ergebnisse erreicht, wir vertrauen auf die Zukunft, und dann kommt ein Finanzspekulant daher und wirft den ungarischen Menschen solche Dinge an den Kopf, und zwar auf die Weise, dass im Übrigen in Wahrheit das einzige mafiaartig wirkende, also nicht durchschaubare, im Verborgenen verbleibende Netzwerk, das es in Ungarn gibt, das Sorossche Netzwerk ist. In Ungarn muss jeder Akteur des politischen Lebens eine Vermögenserklärung anfertigen. Sie werden auf diese Weise gewählt, sie müssen alle vier Jahre Rechenschaft darüber ablegen, die Abgeordneten, den Ministerpräsidenten selbst oder die Minister mit inbegriffen, dies ist also durchschaubar und klar. Es gibt ein wichtiges und bedeutendes Element des ungarischen öffentlichen Lebens, das nicht durchschaubar und klar ist, und dies ist das Sorossche mafiaartige Netzwerk, und dessen agentenartige Organisationen. Deshalb müssen wir darauf bestehen, und ich persönlich bestehe auch darauf, dass das Parlament darüber entscheiden soll, dass diese Organisationen durchschaubar gemacht werden müssen, denn die ungarischen Menschen haben das Recht, zu wissen, wer diese sind, was diese vertreten und im Interesse von wem, im Interesse welcher Ziele sie ihre Tätigkeit ausüben. Hierzu ist Transparenz, also ein Gesetz über die Durchschaubarkeit notwendig. Was die NATO angeht, dort hat sich diese Diskussion, die Debatte über die Einwanderung im Grunde genommen wiederholt. Dies war ein sehr spannender und interessanter NATO-Gipfel. Es war schon einer von vielen, an denen ich teilnehmen durfte. Da sind in der Regel sicherheitspolitische Fragen auf der Tagesordnung in geopolitischer Annäherung. Auch jetzt gab es solch einen Teil der Beratung, doch das Herz der Gespräche war der Kampf gegen den Terror, was ein bisschen, ja sogar bedeutend von den Fragen der traditionellen Kriegsführung abweicht. Und es hat sich auch hier jene Debatte abgezeichnet, sie hat sich erneut herausgebildet, die in der Europäischen Union bekannt ist, also dass es Stimmen gibt, die sagen, jeder Staat habe das Recht, ja sogar die Pflicht, seine Grenzen zu schützen, wozu er juristische und auch physische Grenzsperren benutzen, Antiterrorgesetze erlassen, jene, die er auf sein Gebiet hereinlässt, kontrollieren darf. Während von der anderen Seite, von den gleichen, die dies auch in der Europäischen Union zu tun pflegen, von den Anhängern der Einwanderung, ja von deren Verfechtern behauptet wird, man könne die Probleme Europas im Hinblick auf die demographische und wirtschaftliche Situation nur mit Hilfe einer bewussten Ansiedlung beheben. Hier ist der Unterschied soviel, also hier in diesem NATO-Raum ist der Unterschied zum Diskussionsraum der Europäischen Union soviel, dass hier die Vereinigten Staaten von Amerika auf unserer Seite stehen. Oder das klingt so etwas eingebildet, formulieren wir bescheidener: Wir, die Vereinigten Staaten, Ungarn und die Mitteleuropäer sind auf der gleichen Seite, aber hier sind unsere Positionen stärker als bei einem Gipfel der Europäischen Union.

Wenn ich Sie jetzt richtig verstehe, dann halten Sie die Vereinigten Staaten für einen guten, zuverlässigen Verbündeten.

Nun...

Denn der zurückhaltendste Ausdruck seitens der führenden westeuropäischen Politiker, vor allem nach dem gestrigen Austritt aus dem Klimaabkommen und nach dem Europabesuch des Präsidenten war, dass...

Lassen Sie mich, bitte, Schritt für Schritt vorgehen. Zuerst wollte ich Ihnen jetzt nur sagen, dass in der Angelegenheit der Einwanderung, der juristischen und physischen Grenzsperre – ein jeder besitzt das Recht, seine eigenen Grenzen zu verteidigen, ja, das ist sogar seine Pflicht –, also in dieser Debatte nehmen die Vereinigten Staaten und Ungarn identische Standpunkte ein. Wenn Sie jetzt die Frage stellen, ob die Vereinigten Staaten ein zuverlässiger Verbündeter sind, dann müssen wir sagen, die Vereinigten Staaten sind Mitglied der NATO, unabhängig davon, wer gerade der Präsident ist. Das ist ein Vertrag, dessen Teil ein jeder ist, solange er ihn nicht aufkündigt. So ist auch Ungarn und sind auch die Vereinigten Staaten ein Teil davon, es beinhaltet auch Verpflichtungen. Nicht zufällig erinnert uns im Übrigen der amerikanische Präsident daran, dass es umsonst keine Sicherheit gibt, also ein jeder jene Verpflichtung erfüllen muss, dass ein jeder selbst die zum eigenen und so auch zum gemeinsamen Schutz notwendige militärische Kraft, militärische Entwicklungen, das Aufstellen von Soldaten, die Armee garantieren muss. Das hat sich in der ungarischen Öffentlichkeit in der Weise niedergeschlagen, dass ein jeder mindestens zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die eigene Sicherheit ausgeben muss. Ungarn wird bis 2023-24 dieses Niveau auch erreichen. Das heißt, wenn im Übrigen die ungarische Wirtschaft und die ungarischen Menschen die gute Leistung bringen, wie sie das in den vergangenen Jahren getan haben. Das ist die Voraussetzung für alles. Was das Klimaabkommen angeht, da ist ja die Situation, dass es nicht von dem gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten unterzeichnet worden ist, sondern von dem vorherigen, und der gegenwärtige hat entschieden, hieraus auszutreten. Ich stehe jetzt noch unter der Wirkung des Schocks...

Schock oder Überraschung?

Schockwirkung. Ich muss also sagen, dass in Ungarn doch Konsens darüber herrscht – und ich bin auch Teil davon –, dass der Klimawandel die Wirklichkeit ist, also keine ausgedachte Sache, sondern Wirklichkeit ist. Es herrscht auch Konsens darüber, dass dies eine gefährliche Sache ist, es handelt sich also nicht um ein gewöhnliches erdhistorisches Ereignis, sondern um eine gefährliche Sache, und da wir den Eindruck haben, dass sie einen globalen Charakter besitzt, erfordert das Auftreten ihr gegenüber oder erfordern die zur Abwendung der Folgen getroffenen Maßnahmen auch ein Handeln auf globaler Ebene. Die sind die drei Pfeiler, die Fundamente, auf denen unser Wissen und unsere Politik beruhen. Und das steht im Gegensatz zu alldem, was der amerikanische Präsident entschieden hat. Was hieraus folgt, das bitte ich Sie, jetzt noch nicht zu fragen, weil es dazu noch zu früh ist. Hierüber muss ich noch einige Stunden nachdenken.

Dann kommen wir später auf diesen Austritt zurück. Das scheint aber sicher zu sein, dass im Zusammenhang damit die Kommunikation ähnlich verläuft wie nach dem NATO-Gipfel oder dem G7-Gipfel. Weder Angela Merkel noch Martin Schulz noch andere Brüsseler Politiker halten – vereinfacht gesagt – die Vereinigten Staaten für einen zuverlässigen Verbündeten.

Ich empfehle den Deutschen hinsichtlich solcher Sätze mehr Bescheidenheit.

Diese Bescheidenheit fügen Sie auch als Fußnote an die Aufstellung des Fahrplans des Europas der zwei Geschwindigkeiten?

Nein, ich würde eher darüber sprechen, dass die europäische Geschichte aber verwinkelter ist als die amerikanische Geschichte, und es ist Vieles auf unserem Kontinent geschehen, weshalb diese verallgemeinernden Äußerungen gefährlich sind. Ungarn ist kein Land, das auf Grund seiner Größe das Schicksal Europas bestimmen könnte, aber selbst wir sind vorsichtig mit solchen Äußerungen. Unser Kontinent hat doch eine schwierige Geschichte, schwerwiegende, schmerzhafte Dinge sind auf diesem Kontinent geschehen. Meiner Ansicht nach führt es nirgendwo hin, wenn ein westlicher Verbündeter – und die Vereinigten Staaten sind ein Verbündeter Europas – solche Benennungen erhält und wir ihm solche Etiketten auf die Stirn kleben – und die Amerikaner dann als Antwort auf die unseren –, die diese sehr wichtige amerikanisch-europäische Zusammenarbeit verschlechtern oder aufhalten. Denn die Wahrheit ist die, dass dieser Kontinent in den vergangenen hundert Jahren nur dann jenen Weg gefunden hat, der dem Interesse seiner Bürger diente, wenn die Vereinigten Staaten und Europa kooperiert haben. Und ich wünsche mir, dass weder die Deutschen noch die Amerikaner dies auflösen und diese historische Wahrheit nicht durch einige wenige blind ausgeteilte aggressive Sätze überschrieben werden würde.

Angela Merkel hat sich nicht zurückgehalten, sie hat sehr konkret formuliert: Ihrer Ansicht nach muss die Europäische Union ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, und wenn wir in diesen Kontext auch noch jene Treffen miteinbeziehen, die die deutsche Kanzlerin im vergangenen Zeitraum über das Europa der zwei Geschwindigkeiten absolviert hat, und was übrigens George Soros in diesem gewissen Artikel, aus dem ich bereits zitiert habe, darüber schreibt, wie man das Kerneuropa oder das Europa der mehreren Zonen ausbilden sollte, dann kann man sehen, dass Angela Merkel und der französische Präsident einen ziemlich eindeutigen Fahrplan skizziert haben. Nicht Richtungen, sondern man könnte es einen Programmplan, einen Fahrplan nennen, der in naher Zukunft zur Wirklichkeit werden könnte.

Zuerst einmal sollten wir keine generellen Sätze akzeptieren, ohne vorher gründlich nachzudenken. Zum Beispiel jenen, dass Europa sein Schicksal in die eigene Hand nehmen müsste. Schauen wir ein bisschen hinter die Wirklichkeit oder viel mehr auf ihren Grund! Erstens ist das Schicksal Europas in der Hand der Europäer. Europa ist heute in der Lage, auch ohne die Vereinigten Staaten im wirtschaftlichen Sinne auf den eigenen Beinen zu stehen, ja sogar auch ohne andere Teile der Weltwirtschaft. Offensichtlich würden wir schlechter leben, wenn es kein System des Welthandels gäbe, aber zu sagen oder zu denken, Europa könnte angesichts seiner eigenen technologischen Entwickeltheit, seiner eigenen Innovationen, seiner eigenen wirtschaftlichen Ergebnisse, der Arbeitsfähigkeit und des Arbeitswillens seiner eigenen Bürger nicht auf den eigenen Beinen stehen, dies stimmt nicht mit der Wahrheit überein. Wir können also auf unseren eigenen Beinen stehen. Europas Schicksal liegt in wirtschaftlichem Sinne in der Hand Europas. So ist der Satz genau. Wenn wir sagen wollen, dass wir unser eigenes Schicksal noch stärker in die eigene Hand nehmen wollen, dann müssen wir über die Wirtschaft hinaus blicken. Hier kommen wir zu den Fragen der Bewusstseinsindustrie, also zu der, ob das europäische öffentliche Denken von anderen geformt wird oder von den Europäern? Die Antwort hierauf ist, dass es die Europäer gestalten. Es gibt eine große amerikanische Einwirkung, zweifellos die Wellenregeln der Weltmode befolgend, aber insgesamt halten die Europäer in Europa die Kanäle der Öffentlichkeit, die Medien, die Gedanken, das Verlagswesen, also all das, was dazu nötig ist, damit wir in einem Land und auf einem Kontinent gemeinsam nachdenken können, in ihrer Hand. Also ist auch dies in unserer eigenen Hand. Die Europäische Union besitzt eine eigene Währung, es gibt nationale Währungen, wie es der Forint eine ist, und Europa hat auch eine gemeinsame Währung. Man muss also sagen, dass unser Schicksal auch finanziell in unserer Hand liegt, was bedeutet dann aber der Satz von Angela Merkel, dass wir es in unsere Hand nehmen sollen? Denn wenn es dort ist, dann müssen wir es nicht in die Hand nehmen, doch ist es leider die Wahrheit, dass es hier noch eine unerwähnte Dimension der Existenz gibt, und dies ist die Dimension der Sicherheit. Und die Frage ist die, ob die Europäer in der Lage sind für sich selbst ihre eigene Sicherheit zu erschaffen, denn wenn nicht, dann garantiert uns jemand anderes unsere Sicherheit, und an dieser Stelle müssen wir uns der einfachen Tatsache erinnern, dass zahllose amerikanische Soldaten und Streitkräfte auf dem europäischen Kontinent stationiert sind. Wenn es jemand ernst meint, dass Europa sein Schicksal auch militärisch in die eigene Hand nehmen müsste, das heißt wir auch ohne jemand anderen in der Lage sein müssten, unsere eigene Sicherheit zu garantieren, dann wirft diese Person eine sehr wichtige Frage auf, und segelt auf sehr gefährliche Gewässer, denn aus diesem Gedanken folgen schwerwiegende Konsequenzen. Ich bin nicht dagegen, dass wir dies auch auf europäischer Ebene durchsprechen, nur sollten wir genau durchdenken, was wir sagen.

Daraus, was die Deutschen im Zusammenhang mit den neuen Fonds der Kohäsionspolitik sagen, folgere ich, dass sie im Übrigen daran denken, dass die demokratischen Werte und die Rechtsstaatlichkeit es sind, auf Grund derer in der Zukunft zum Beispiel die Gelder, die Kohäsionsgelder verteilt werden müssen.

Ich glaube nicht, dass sie das ernst gemeint haben, denn der wichtigste europäische Wert ist die Einhaltung der abgeschlossenen Verträge. Die Migrantenkrise ist aus dem Grunde entstanden, weil die Deutschen sie nicht eingehalten haben, wenn wir also die finanziellen Unterstützungen mit den europäischen Werten verbinden wollen, dann wäre hierbei heute Deutschland der größte Verlierer. Ich glaube nicht, dass dies ein durchdachter Vorschlag ist.

Ist nun insgesamt auf den Treffen, die durchgeführt worden sind – und hierbei sprechen wir über Treffen auf ziemlich hoher Ebene, im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel, oder wir können auch das G7-Treffen hierzu zählen, ist also auf dem NATO-Gipfel – irgendein Fortschritt in der Angelegenheit des Grenzschutzes oder in irgendeiner anderen Angelegenheit geschehen? Ich habe zum Beispiel die Äußerung des NATO-Generalsekretärs gelesen, nach der ab jetzt sich auch die NATO in den Kampf gegen den Islamischen Staat einschaltet, aber an keinen konkreten militärischen Manövern teilnehmen wird, aber im Übrigen bekräftigen die Mitgliedstaaten ihr Engagement im Kampf gegen den Terrorismus. Dies ist eine gute Nachricht von einem der wichtigsten Militärbündnisse der Welt. Abgesehen davon, dass jeder sich Donald Trump aus der Nähe angesehen hat, gab es eigentlich einen wesentlichen Fortschritt?

Seien Sie nicht zynisch!

Ich bin Journalistin.

Wir reden schließlich über den frei gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten...

Ich war vielmehr im Zusammenhang mit der NATO zynisch.

...der kein Ausstellungsstück ist, das wir betrachten, sondern ein ehrenwerter Mensch, dem – als dem Führer der Amerikaner – der notwendig Respekt zusteht, aber zweifelsohne können wir auch so formulieren, dass wir ihn betrachtet haben, weil viele von uns ihn noch nicht persönlich gesehen haben, aber das war nicht das Wesentliche des NATO-Gipfels, sondern wir haben seine Gedanken und Vorstellungen über die Zukunft kennen gelernt. Das war vielleicht noch wichtiger. Wir wurden nicht enttäuscht, wir haben bekommen, was wir erwartet hatten. Einen urwüchsigen, durch und durch amerikanischen Menschen, der nicht aus der die europäischen herkömmlichen Traditionen der Königshöfe fortsetzenden europäischen Elite und ihren Schulen kommt, sondern aus der strengen, kalten, zugigen Welt der Unternehmer. Er spricht einfach und klar, lässt seine Gedanken nicht von ihrem eigenen Gleis abbringen, und so benutzt er abwechselnd die Gesichtspunkte und die Argumente der Begründungen und des physischen oder militärischen Gewichts. Schauen Sie, wir sind hieran nicht gewöhnt. Zweifellos habe ich noch an keinem NATO-Gipfel teilgenommen, auf dem die Versammlung der Präsidenten und Ministerpräsidenten kulturell derart bunt gewesen wäre, aber ich sehe darin eher eine Chance. Ich bin der Ansicht, wir sollten hiervon die gute Seite und die Seite der Chance betrachten. Endlich ein offener, geradeheraus sprechender Mensch, mit dem wir in manchen Dingen übereinstimmen – siehe den Kampf gegen den Terror oder eben die Frage der nationalen Selbstverteidigung –, in anderen Fragen – siehe Klimagipfel, Situation des Klimas – aber nicht, doch mit so einem Menschen kann man reden, man kann mit ihm zu einem Ergebnis kommen. Nun ist aber auch wahr, dass Ungarn nicht die Größenordnung besitzt, um in der Entscheidung der großen Fragen bestimmend aufzutreten, also ist das fünf-sechshundert Jahre alte Regelsystem der ungarischen Außenpolitik auch weiterhin gültig, nach dem wir darauf achten müssen, was in unserer Gegend geschieht, wir müssen versuchen, das Wohlwollen aller zu gewinnen, wir müssen alle daran interessiert machen, dass Ungarn ein erfolgreiches Land sein soll. Es soll also keine bedeutende Kraft im internationalen Raum, die denkt, es wäre nicht in ihrem Interesse, wenn Ungarn erfolgreich wäre. Andersrum gesagt, jeder, jedes große und starke Land, China mit inbegriffen, soll, wenn es das Wort „Ungarn“ hört, einfallen, dass es auch solche Interessen hat, dass Ungarn erfolgreich sei. Seit sieben Jahren arbeite ich an der Konstruktion dieser Außenpolitik, wir stehen recht gut, der Eintritt des amerikanischen Präsidenten in dieses internationale Match hat diese unsere außenpolitische Denkweise nicht ungültig gemacht, sondern sie bestärkt.

Ehrlich gesagt war ich eher im Zusammenhang mit den Entscheidungen der NATO zynisch, vor allem nach dem Terrorangriff in Manchester, denn es ist schön und gut, dass Sie darüber übereingekommen sind, gemeinsam gegen den Terror zu kämpfen – Sie haben im Augenblick auch kaum eine andere Möglichkeit –, dies ist also vorerst nicht viel wert.

Dann können wir darin übereinstimmen, dass wir auch Ihrer Ansicht nach alles getan haben, was jetzt möglich war.

Sprechen wir über die heimischen Angelegenheiten, über die Familienpolitik. Es gibt viele Maßnahmen. Sie hatten versprochen, Sie würden in dieser Angelegenheit die Maßnahmen ankündigen, Sie haben sie auch angekündigt, doch ist die Lage doch jene: Man kann den Familien alles nur Erdenkliche bieten, wenn eine Frau sich nicht dahingehend entscheidet, ein Kind haben zu wollen, dann wird es in Ungarn nicht mehr Kinder geben. Hier im Studio haben wir im Laufe der vergangenen Woche ziemlich viele Experten über die Familienpolitik, über nationale und internationale Angelegenheiten der Familienpolitik befragt, und viele haben diese auf vielerlei Weise kommentiert, die Zahlen sind nicht besonders vielversprechend. Letztlich hat ein jeder, auch wenn er gestockt oder geschluckt hat, als ich hinsichtlich dieser Sache nachgefragt habe, kurz soviel gesagt, dass es sogar noch funktionieren könnte.

Nun, tatsächlich… Beginnen wir damit, was Sie hier als eine Art philosophischen Ausgangspunkt markiert haben, ob es überhaupt einen Sinn hat, von Familienpolitik zu sprechen, wenn sowieso die Menschen entscheiden, was sein wird. Und Sie haben hierin Recht, denn die Menschen werden entscheiden – ich merke an, in erster Linie werden dies die Frauen tun –, was sein wird. Wenn es den Männern auch schwerfallen sollte, dies einzugestehen, aber es ist doch so, dass die Frage, wie viele Kinder es geben wird, in was für einer Familie wir leben und wie wir leben, dies wird doch letztlich von den Frauen entschieden – auch wenn wir Männer etwas damit zu tun haben. Es wird also das sein, was die Frauen wollen. Doch werden die Frauen mir meiner Ansicht nach darin zustimmen, dass wenn es Kinder gibt, dann gibt es eine Zukunft – denn alle Frauen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, und alle weiblichen Mitglieder meiner Familie hier miteingerechnet, hätten diese Behauptung niemals angezweifelt. Wenn es Kinder gibt, dann gibt es eine Zukunft. Dies bedeutet, wenn es ungarische Kinder gibt, dann gibt es eine ungarische Zukunft, die Entscheidung ist ganz unabhängig hiervon immer noch die ihre. Nun, wenn die Entscheidung die ihre ist, dann ist zweifellos die Frage berechtigt, was sich die Regierung hier in diesem Bereich herumdrückt? Doch sage ich Ihnen hierauf, dass man das Recht der Entscheidung nicht wegnehmen kann und auch nicht darf. Das steht gar nicht zur Disposition, aber es gibt familienfreundliche Länder, in Europan gibt es eine ganze Reihe solcher, und es gibt – nun, nennen wir es so: – familiengleichgültige Länder, oder solche, die diese Frage ausgesprochen vernachlässigen. Unsere Regierung und auch ich persönlich haben unserem Land, Ungarn, den Vorschlag gemacht, Ungarn in ein familienfreundliches Land umzuwandeln, und die Frauen werden dann entscheiden, was sie wollen. Aber wir sollten hinsichtlich der Stimmung des Landes, seiner Kultur, seines Steuersystems, des Systems der finanziellen Unterstützungen, des Schulsystems, hinsichtlich der Versorgtheit mit Kinderkrippen und Kindergärten, hinsichtlich der Anerkennung der Frauen – nach einem Arbeitsverhältnis von 40 Jahren können sie in Rente gehen –, wir sollten also in jeder Hinsicht ein Umfeld in Ungarn erschaffen, in dem die Frauen sagen, hier ist es eine gute Sache, ein Kind zu erziehen, und dann werden sie entscheiden, ob sie selbst ein Kind wollen. Aber dass es hier einfacher, leichter, besser ist, ein Kind zu erziehen, als es früher war, als es eventuell in anderen Ländern ist, diese Kultur versuchen wir zu errichten. Unser demographisches Programm ist also ein die Familie und die Kinder schützendes Programm, und es zielt auf die Errichtung, auf den Ausbau eines familienfreundlichen Landes. In der Tiefe dessen finden sich natürlich jene Zahlen, auf die auch Sie hingewiesen haben, in Ungarn nimmt die Bevölkerung also ab. Wenn es keine ungarischen Kinder gibt, dann gibt es auch keine ungarische Zukunft. Heute befinden wir uns in der Situation, dass es immer wenigere ungarische Kinder gibt, weshalb die ungarische Zukunft immer stärker aufgebraucht ist. Dies möchten wir verändern, dies war ein langer historischer Prozess, also, dass wir an diesen Punkt gelangt sind, deshalb muss man hier in drei Schritten denken. Hier sind die Ausdauer und die Geduld, oder ich könnte auch aus einer christlichen Annäherung heraus sagen, die Beharrlichkeit die wichtigste Sache. Zuerst müssen also die sich verschlechternden Tendenzen, mit denen wir heute zusammenleben, dass mehr Menschen als Kinder auf die Welt kommen, zuerst muss dies verlangsamt werden. Jetzt befinden wir uns in dieser Phase. Wir bremsen die sich verschlechternden Tendenzen. Die nächste Aufgabe ist, die sich verschlechternde Tendenz aufzuhalten. Dies kann irgendwann zwischen 2025 und '30 eintreten, wenn es uns gelingt, ein familienfreundliches Land aufzubauen. Danach muss die Tendenz umgekehrt werden, und nach dem Aufhalten der schlechten Tendenzen muss man die neuen Tendenzen in die Wege leiten. Es kann sein, dass wir uns hierüber noch unterhalten werden, es kann aber auch sein, dass dies über den Zeitpunkt hinweg liegt, zu dem Sie noch Interviews mit mir machen werden.

Wir werden uns noch darüber unterhalten, zumindest in der nahen Zukunft. Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der vergangenen halben Stunde.

Danke, dass ich hier sein durfte.