15. März 2017, Budapest

Sehr geehrte Feiernde! Ungarn, überall in der Welt!

Ich begrüße recht herzlich unsere Freunde, die aus Polen angereist sind. Uns ist es wichtig, dass sie – so wie im Jahre ’48 – auch heute hier mit uns gemeinsam anwesend sind.

Jede Nation feiert auf die Weise, wie sich das aus ihrem Charakter ergibt. Der eine veranstaltet ein Festival, der andere gibt eine Party. Um unser den Frühling begrüßendes Fest weht eine Art heiterer Ernsthaftigkeit. An Feiertagen macht die ungarische Nation ein Foto, oder wie unsere Kinder es sagen würden, ein Selfie von sich – im Hintergrund mit der eigenen Geschichte. Auch heute glüht das Licht der aus dem Freiheitswunsch der Nation geborenen Auseinandersetzungen auf, es glühen die ruhmreichen Tage von ’48, die ’49-er Schlachten auf, und es kommt die Dämmerung bei Világos. Ebenso wie ein Jahrhundert später der leuchtende Oktober ’56 und der ihm folgende lähmende November. Wenn wir feiern, dann vergessen wir nicht, dass unsere Freiheitskämpfe in der Regel in erneuten Besetzungen mündeten. Trotzdem zeigt unser Familienselfie eine siegreiche Nation. Soweit wir wissen, sind wir nicht besiegt worden. Es stimmt zwar, dass wir viele wichtige Schlachten verloren haben, aber wir, Ungarn, denken nie im Rahmen einer Schlacht oder eines einzigen Feldzuges. Wir können uns hier, im Karpaten-Becken, der Pufferzone von Kulturen, Reichen, Zivilisationen des größtmöglichen Triumphs rühmen; wir haben den Krieg, den für das Erhaltenbleiben der Heimat und das Weiterbestehen der Nation geführten Krieg am Ende immer gewonnen. Wir sind hier, entgegen des Willens von allem und jeden sind wir hier. Wir sind hier, und auch heute feiern wir unsere Besten, wir feiern jene Mutigen, ohne deren Mut wir heute nicht hier sein könnten. Auch heute fertigen wir das große, gemeinsame, Familienfoto der Ungarn mit ihnen an. Respekt den Mutigen!

Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Feiernde!

Jene, die die Schlacht und den Feldzug gegen uns gewonnen haben, haben schließlich den Krieg verloren. Die Tataren sind spurlos verschwunden, die gewaltige Ottomanische Pforte gibt es nicht mehr, das Habsburger Reich hat sich in Nebel aufgelöst, und der sowjetische Koloss ist einfach entschlafen. Gewaltige Reiche! Wo ist Euer Stachel? Der 15. März ist der unwiderlegbare Beweis dafür, dass wir waren, dass wir sind und dass wir sein werden. Das ist unser Triumph. Die Bedeutung von 1848 besteht nicht nur darin, dass es geschehen ist, sondern auch darin, dass es auch seitdem geschieht. Nicht nur auf unseren sich jährlich wiederholenden Feiern, sondern 1848 ist zu unserem inneren Maß und unserem moralischen Kompass geworden. Das ’48-er Maß und der Kompass sagen auch heute noch, wer wie viel auf der Waage der Heimat wert ist, wer treu, ein Patriot, hingebungsvoll, und wer mutig ist. Sie zeigen, was die Größe ist, zeigen aber auch, was das Kleinliche, das Hinterlistige und der Mord an Träumen ist. Was der Aufbau des Landes und was die Zerstörung des Landes ist. Das Maß von 1848 bestimmt die persönliche Situation von uns allen in den Reihen der Nation, und 1848 bestimmt auch die Stellung unserer Nation in der Reihe der Nationen. Und wir können auf diesen, uns zustehenden Platz stolz sein. 1848-49 kämpften aus den Reihen des Ungarntums mehr Menschen unter der Flagge der Freiheit, als in allen anderen Ländern Europas zusammengenommen.

Sehr geehrte Feiernde!

1848 erhebt nicht als einsame Insel aus dem Fluss der ungarischen Geschichte. Die ungarische Nation existierte bereits auch schon vor ’48, und wir haben die Flagge der Freiheit auch nicht im Frühling ’48 das erste Mal erhoben. 1848 fasst als Klammer den Freiheitskampf von Rákóczi und den Oktober von ’56 zusammen. Er zeichnet die Rückgratlinie einer großen für die Freiheit kämpfenden Nation, und gibt ihre historische Blutlinie, und gerade dies, das Bewusstsein der Zugehörigkeit zur Nation, zur ungarischen Nation wird noch lange Zeit das Rückgrat von Generationen verstärken und ihre Blutlinie verlängern. Denn die großen ungarischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Dichterinnen und Dichter, olympischen Meisterinnen und Meister, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten laufen hier unter uns in kurzer Hose und mit Zöpfen in unseren Kindergärten und Schulen herum. Noch weiß niemand, was aus ihnen werden wird, doch können wir hoffen, dass sich auch die neuen „Jünglinge des März“ unter ihnen befinden, die mit ihrem Leben jenes kompliziert verflochtene und gewaltige Epos weiterschreiben werden, das die gemeinsame Heldengeschichte unserer Nation und der Freiheit ist. Es kann nicht unsere Absicht sein und wir sind auch nicht in der Lage, das Schicksal unserer Nachkommen zu bestimmen und zu planen. Großvater Petrovics dürfte, wenn er sich das zukünftige Leben seines Enkels vorstellte, der später unter dem Namen Petőfi Eingang in die ungarische Geschichte fand, vielleicht die ehrenwerte Laufbahn eines Metzgergehilfen oder eines Fleischers vorgeschwebt haben. Wir können niemals wissen, in welchem Ungarn sich die aufrüttelnde und ihn rufende Stimme der Heimat melden wird. Vermutlich sind die Lajos Kossuths und Sándor Petőfis der Zukunft, und zusammen mit ihnen auch die István Széchenyis, Ferenc Deáks und auch József Eötvös‘ hier unter uns. Unsere Aufgabe ist es, unseren Kindern und Enkeln ein derartiges Land, ein derartiges geistiges und moralisches Erbe zu übergeben, dass aus ihren Reihen jene hervortreten können und wollen, die nicht davor zurückschrecken, die auf die Nation hiernach wartenden Revolutionen und Freiheitskämpfe auszufechten. Es ist unsere Aufgabe, dieses Land für sie zu bewahren, für sie die Nation zu erhalten und mit einem Anhaltspunkt zu dienen, der sie in der Hinsicht anleiten wird, was sie tun müssen: Die Kontinuität der Nation zu sichern. Die Kontinuität jener großartigen Nation, die die Notare von Nagyszalonta, die mutigen Jurastudenten, die begeisterten Schauspielerinnen, Fleischermeister, Unternehmer, Mütter und Väter, Ackerbauern, Handwerker, Soldaten, Wissenschaftler und Meister bildeten. Die Zukunft der im Wunder des brennenden Dornenbuschs lebenden ungarischen Nation sichern; sie ist seit langem von Flammen umgeben, und sie ist immer noch erhalten geblieben, und ist nicht verschwunden. Braucht ein heutiger ungarischer Jugendlicher einen stärkeren Ansporn als diesen?

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vor 2061 Jahren erschütterte an diesem Tag ein Anschlag das antike Rom, im Frühling des Jahres 1848 brachen Revolutionen aus, und auch jetzt befinden sich die Völker Europas im Zustand der Auflehnung. Zeichen, die immer das gleiche bedeuten: Es gibt Probleme im Reich. Der Ungar ist von nüchterner Art, unsere Augen sind geschärft für die Zeichen, unsere Ohren empfindlich für den Ruf der Zeiten, wir wissen, man kann der Geschichte nicht vorgreifen, und man kann sie auch nicht aufhalten. Hier, im Karpaten-Becken, haben wir gelernt: Das, was kommen muss, kommt sowieso, alles hat seine ihm zugewiesene Zeit, und wir haben nur die Möglichkeit, die zugleich unsere Pflicht ist, uns auf die Veränderungen vorzubereiten. Die 1848-er Revolutionen sind ausgebrochen, weil die damaligen imperialen Großmächte den Völkern das Recht verwehrten, ihr Regierungssystem umzuformen, das Gewebe ihrer Wirtschaft neu zu weben, und dass ihre Kultur den neuen Idealen ein Tor eröffne. Die europäischen Kaiser, Zaren und Könige erschufen im Interesse des europäischen Friedens eine Heilige Allianz. Aus der Heiligen Allianz des Friedens wurde aber der Feind der nationalen Unabhängigkeit, der Selbstbestimmung und der Freiheit, und sie wurde zu einer scheinheiligen Allianz. János Arany schrieb, früher habe der Starke dem Schwachen alles genommen, was möglich war. Jetzt ist es nicht so. Die Welt wird von einer Beratung verwaltet: Und der Stärkere, wenn er einen Streich gemacht hat, setzt sich zusammen und bestätigt ihn. Dies ist eine bekannte Geschichte. Im vergangenen Jahr haben die Nationen erneut aufbegehrt. Sie lehnten sich gegen die scheinheilige Allianz der Brüsseler Bürokraten, der liberalen Weltmedien und des unersättlichen internationalen Kapitals auf. Zuerst die Engländer, dann die Amerikaner, und in diesem Jahr kommt die Fortsetzung.

Sehr geehrte Feiernde!

Heute wehen erneut ’48-er Winde in Europa. Heute besteht für uns noch die Möglichkeit, die frei werdenden Energien der Auflehnung innerhalb der verfassungsmäßigen Rahmen zu halten, und das europäische Reich tiefgreifend, jedoch friedlich und geordnet umzuformen. Vor allem muss in Brüssel die Maskerade der Scheinheiligkeit abgelegt werden, eine klare Sprache und die offene Debatte über die Zukunft sind notwendig. Die hinter schönen Idealen versteckten Intrigen müssen aufhören. Széchenyi ermunterte auf folgende Weise: „Wenn ganz Europa auseinanderfällt, wird das aus seiner Asche erstehende Ungarn zur Ehre der Menschheit jetzt auf die Weise über die Ordnung, über den Frieden und die Freiheit wachen, wie es einst der Schutzwall des Christentums war. Wenn es in uns mehr Patriotismus als Neid und mehr bürgerliche Tugenden als Ruhmsucht geben wird, dann bin ich überzeugt: Aus dem Ungarn wird noch etwas, und zwar viel.“ Ja, sehr geehrte Feiernde, es kann aus dem Ungarn noch etwas werden, wenn wir das Wesentliche der 12 Punkte verstehen, das sich so anhört: „Es mögen Frieden, Freiheit und Eintracht sein.”

Ja aber was sollen wir mit jenen anfangen, die keinen Frieden, sondern Unfrieden, nicht Eintracht, sondern Zwietracht wollen? Was sollen wir mit jenen anfangen, deren einzige Freude darin besteht, wenn sie – wie auch heute – die Freude der anderen kaputtmachen können? Es wäre leicht, sie mit einem ungarischen Sprichwort verspottend, abzutun: Aus einem närrischen Loch bläst ein närrischer Wind. Aber wir sollten das nicht tun! Denn die Kraft, die Masse verpflichtet, wir müssen nicht in dem Herumgeschubse der Kleinstparteien, sondern am Horizont des Aufbaus der Nation bestehen. Und vom Horizont der ungarischen Nation aus betrachtet können wir zwischen zwei Wegen wählen. Wir können den Wählen, der uns zum breiten Tor der nationalen Größe führt, und auch den, der in dem herabziehenden Sumpf des Hasses endet. Wie Petőfi es formulierte: „Die Zeit ist wahr, und sie entscheidet, was es nicht ist.“

Sehr geehrte Feiernde!

Lajos Kossuth sagte: „Wir sind eine Nation, wir haben das Recht und auch die Kraft, unsere eigenen Ziele zu verfolgen und nicht Instrumente fremder Ziele zu sein.“ Es kann sein, dass für Brüssel und dem internationalen Finanzkapital weder die Vergangenheit der ungarischen Nation noch die ungarische Zukunft zählt, aber für uns sind sie wichtig. Es kann sein, dass für Brüssel und das internationale Finanzkapital die Sicherheit der europäischen Menschen nicht wichtig ist, jedoch zählt sie für uns. Es kann sein, dass für Brüssel und das internationale Finanzkapital egal ist, ob wir Ungarn bleiben oder nicht, doch für uns zählt es. Wir wissen das, was der Dichter János Arany folgendermaßen formulierte: „Wenn uns der Sturm der Zeiten hinwegbläst, wird Gott nie wieder einen Ungarn haben.” Und dies gilt auch heute noch, hierum geht es bei der gegenwärtigen europäischen Auflehnung. Im Interesse der Verteidigung unserer Unabhängigkeit und unserer nationalen Selbständigkeit müssen wir die vor uns stehenden Schlachten mutig ausfechten. Wir müssen Brüssel aufhalten. Wir müssen unsere Grenzen verteidigen, die Ansiedlung müssen wir verhindern, das durch ausländisches Geld aufrechterhaltene Netzwerk müssen wir durchschaubar machen, das Recht der Regelung der Steuern, der Löhne und der Nebenkosten müssen wir Zuhause behalten, und hierbei, meine lieben Freunde, können wir nur auf uns selber zählen, deshalb müssen wir die Regierungsverantwortung auch weiterhin in den Händen der nationalen Kräfte behalten.

Sehr geehrte Feiernde!

Im Frühling des Jahres 1848 fiel der Samen der Revolution in die Erde zahlreicher Nationen. Die Freiheit konnte aber an den meisten Orten trotzdem nicht hervorwachsen. An dem einen Ort, pickten die Saat die Vögel auf, andernorts war der Boden zu mager, und an anderer Stelle erstickte das Unkraut die hervorwachsende Saat. Warum war es und ist es so, dass gerade unsere ungarische Erde am geeignetesten dafür ist, dass die Freiheit in ihr Wurzeln fasst? Die Antwort ist hier vor uns. Die Kinder einer jeden Nation sehnen sich nach einem glücklichen Leben. Auch uns geht es so damit. Jedoch kann jede Nation nur auf die Weise glücklich werden, wie es ihre Natur vorgibt. Wir, Ungarn, können zu einem glücklichen Leben nur auf die Weise gelangen, wenn wir den Weg der Freiheit und der Unabhängigkeit verfolgen. Ohne Freiheit und Unabhängigkeit ist die Heimat kein wirkliches Zuhause, und wir, Ungarn, können nicht in einer Heimat glücklich werden, die nicht unser Zuhause ist.

Sehr geehrte Feiernde!

Die Nation bedeutet nicht nur die gemeinsame Sprache, Kultur und die gemeinsame Vergangenheit, sondern bedeutet auch die Gesamtheit all jener Momente, in denen die Prüfungen der Geschichte die Herzen miteinander zusammenschmieden. Deshalb sind wir in den vergangenen Jahren erneut zu einer starken Nation geworden. Die Herzen sind durch unseren Kampf für unsere nationale und christliche Verfassung zusammengeschmiedet worden. Unsere Auflehnung gegen die Zinsknechtschaft hat sie zusammengeschmiedet. Der Kampf für die wirtschaftliche Unabhängigkeit hat sie zusammengeschmiedet, und zusammengeschmiedet hat sie jene Schlacht, in der wir die Europa belagernde Völkerwanderung zurückdrängten und die Brüsseler Hände, die die Tore von innen aufmachen wollten, abwehrten.

Sehr geehrte Feiernde!

Wir stehen auf unseren eigenen Füßen, essen unser eigenes Brot, sind weder die Lakaien ungarischer noch fremder Mächte, haben Hunderttausenden von Menschen Arbeit gegeben, haben die Familien gestärkt. Wir sind über die Grenzen der Klasse, der Abstammung, des Alters, der Religion und der politischen Ansichten hinweggeschritten und haben eine echte nationale Einheit erschaffen. All dies haben wir entgegen der Drohungen und der Proteste der Allianz der Scheinheiligen getan.

Meine Freunde!

Es gibt aber keine Einheit, für deren Erhaltung man nicht Tag für Tag arbeiten müsste. Es gibt kein Ergebnis, das sich selbst verteidigen würde, wir müssen die Ergebnisse verteidigen. Es gibt nie ein fertiges Land, man bekommt nie etwas umsonst, und die Mitbewerber übergeben von sich selbst aus nichts, weder den Ort noch die Möglichkeit, nicht die Arbeit, nicht den Nutzen und auch nicht den Wohlstand. Die endlich erschaffene Einheit muss man erhalten und jeden Tag weiter- und wiederaufbauen. Die ungarische Nation wird stärker, sie steigt auf, und sie wird sich die ihr auf Grundlage ihres Talents und ihres Fleißes zustehende Anerkennung in der Gemeinschaft der europäischen Nationen verdienen. „Der Name Ungar wird wieder schön sein, gemäß seines alten großen Ruhmes.“ Es lebe die ungarische Freiheit, es lebe die Heimat!