Budapest, 16. November 2015
Sehr geehrter Herr Präsident!
Ich bin mir selber nicht sicher, ob es richtig ist, überhaupt auf irgendeinen der Vorschläge zu antworten. Wir befinden uns gerade in einem besonders heiklen Moment, in dem die Trauer uns noch das Maßhalten gebietet, zugleich darf man aber auch nicht warten, weil wir nicht wissen, ob wenn wir untätig bleiben, sich all das, was am Freitag geschehen ist, nicht an irgendeinem Tag wiederholt. Es ist also vielleicht doch besser, wenn wir reden, als wenn wir nur in Stille trauern würden.
Deshalb möchte ich zuerst auf den Gedanken des Mitabgeordneten Schiffer antworten. Ich habe beobachtet, dass es einen Reflex gibt – Sie erlauben mir vielleicht, dass ich diesen als einen schlechten Reflex bezeichne –, der immer dann, wenn man sich einem großen Problem gegenübersieht, sich darauf berufend, dass in der modernen Welt alles mit allem zusammenhängt, dieses Übel als global qualifiziert und sofort die Schlussfolgerung zieht: Nun, wenn das Problem global ist, dann kann man es auch nur global lösen, und wir sind eben so groß, wie wir es sind, und solange es in der Union oder auf dem gesamten Globus keine Übereinstimmung gibt, gibt es auch nicht so viel zu tun. Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass der Verweis auf die globale Natur der Dinge im Rahmen unserer Diskussionen nicht zu dem Ergebnis führen soll, dass wir die Schlussfolgerung ziehen, wir hätten hier jetzt nichts Besonderes zu tun, und sollten stattdessen warten, bis es eine gemeinsame Lösung geben wird.
In der Europäischen Union haben wir dies seit dem ersten Pariser Anschlag ganz bis zum Beschluss der ungarischen Regierung über die Errichtung des Zaunes getan. Wir haben uns beraten, haben eine gemeinsame Lösung gesucht, und ein jeder sagte, das geht nur gemeinsam, ganz bis zu dem Moment, wo wir gesagt haben, dass es deutlich sichtbar ist, dass bisher gemeinsam aus dem Ganzen nichts herausgekommen ist. Also soll ein jeder das machen, was sich aus seinem Talent, seinen Fähigkeiten, seiner Situation, seinen Verpflichtungen für ihn ergibt. Dies hat Ungarn getan. Also während ich Ihre Argumentation hinsichtlich der globalen Natur der Herausforderung akzeptiere, stelle ich die Frage, wo in dieser globalen Krise sich unser Platz befindet, und welche Verpflichtungen sich aus diesem Platz für uns ergeben. Und diese Verpflichtungen müssen erfüllt werden. Das, was die Ungarn tun können, muss hier und jetzt getan werden – die ungarische Regierung wird von dieser Überzeugung geleitet.
Auch die zweite Bemerkung war interessant, in der es um die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Geheimdienste ging. Ich bestreite dies nicht, doch möchte ich darauf hinweisen, dass in dieser Situation das Übel nicht durch die fehlende Zusammenarbeit der Geheimdienste verursacht worden ist. Das hat ja nun ein jeder gesagt, wie ich das vielleicht auch in meinen einleitenden Gedanken erwähnt habe, schon vor Monaten; es gab keinen Sicherheits- und Geheimdienstchef in Europa – auch den ungarischen und den deutschen mit eingerechnet, es gab keinen Polizeichef in ganz Europa –, der nicht gesagt hätte, die Frage sei nicht, ob es einen terroristischen Akt geben werde, sondern wann es ihn und wo es ihn geben wird. Weil all das, was geschieht, keine anderen Folgen haben kann; dies war zu sehen. Wir können uns nicht, kein einziger führender Politiker Europas kann sich damit verteidigen, es hätte ihm oder ihr irgendeine Information nicht zur Verfügung gestanden, denn die Dinge, das Unheil entspringen notwendigerweise aus der Natur der Einwanderung – unbeaufsichtigt und ohne jede Form von Kontrolle, ungeregelt strömen Menschen aus einem Kriegsgebiet in unsere friedliche Welt hinein. Wieso, was haben wir gedacht, was passieren wird, meine geehrten Damen und Herren? Also während wir auf die Zusammenarbeit der Strafverfolgungs-, der Grenzschutz- und der geheimdienstlichen Organisationen bestehen, sollten wir uns nicht etwas vormachen, indem wir sagen, dies hätte jetzt dazu gefehlt, um das Unheil vermeiden zu können.
Auch der Satz ist mir besonders aufgefallen, Ungarn sei mitverantwortlich. Meiner Ansicht nach ist Ungarn sicherlich für vieles verantwortlich, und ich bin der Letzte, der über uns sagen würde, wir wären ohne Fehler. Und ich wäre auch der Letzte, der sagen würde, dass wir nicht nur jetzt fehlerlos sind, sondern dies auch schon immer waren. Also meiner Ansicht nach sind wir Ungarn uns ganz genau über unsere historische Verantwortung im Klaren, und sind es auch hinsichtlich unserer Fähigkeiten – nicht nur über unsere Tugenden, sondern auch über unsere Mängel –, aber in solch einer Situation, in der es meiner Ansicht nach ein einziges Land gegeben hat, das rechtzeitig und das tat, was getan werden musste – jetzt über unsere eigene Verantwortung zu sprechen? Was für ein Reflex des Selbsthasses ist denn das? Warum hassen wir uns? Ich sage nicht, dass die Opposition uns loben soll; ich sage nicht, dass sie hervorheben sollen, dass es eine Regierung in Europa gegeben hat, die warnte, „Leute, wir sollten das ernst nehmen“. Ich erwarte dies nicht, weil es der Natur der Parteipolitik widersprechen würde. Jedoch seitens der Opposition zu behaupten, Ungarn trüge Verantwortung? Warum hassen wir die Ungarn so sehr? Uns selbst? Was ist der Grund dafür? Was ist der Grund dafür? Ich möchte also vorschlagen, dass wir uns dem Ernst der Lage gemäß gemeinsam der Tugend des Maßhaltens zu bedienen versuchen.
Verehrte Mitabgeordnete!
Ich danke dem Führer der Jobbik für die Bemerkung, die wir in den Bänken der Regierungspartei alle teilen, nach der die Sicherheit keine parteipolitische Frage ist; die hieraus entspringenden Möglichkeiten zur Zusammenarbeit werden wir dann suchen, wenn dies notwendig geworden sein wird. Jetzt an dieser Stelle ist es für mich nur notwendig, soviel zu erklären, dass die ungarische Regierung auf das Entschiedenste sowohl gegen die Zwangsansiedlung, also gegen die Quote, als auch gegen die Rückabschiebung auftritt. Ich möchte jeden Bürger Ungarns davon in Kenntnis setzen, dass es hier, solange diese Regierung atmen kann, weder eine Quote noch eine Rückabschiebung geben wird.
Die Bemerkung der Christlich-Demokratischen Volkspartei empfinde ich als spannend und wertvoll, denn wir müssten – nicht jetzt, weil all das, was geschehen ist, noch zu nah ist, aber irgendwann – über die in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten formulierte Frage reden, denn er sprach nicht darüber, was mit der Europäischen Union werden wird, was im Übrigen eine sehr wichtige und spannende Frage ist, sondern er sprach darüber, was mit der europäischen Zivilisation geschehen wird. Dies erlaubt uns vielleicht auch einen umfassenderen Ausblick und einen weiteren Horizont. Nicht jetzt, aber irgendwann lohnt es sich, über die Frage zu reden, was bis zur Mitte bzw. dem Ende des 21. Jahrhunderts aus unserer europäischen Zivilisation geworden sein wird, wenn es so weitergeht. Und wenn wir dies mit der Frage der Einwanderung in Zusammenhang bringen, dann müssen wir die Frage stellen, ob eine Zivilisation in der Lage ist, sich zu erhalten, wenn sie jene Menschen, die sie erschaffen haben, gegen Menschen anderer Art austauscht. Und wen die Antwort interessiert, der sollte die Geschichte der Vereinigten Staaten studieren. Doch ist dies eine andere Diskussion, vielleicht später und an anderer Stelle.
Im Gegensatz dazu lassen Sie mich aber auf den Satz des geschätzten Leiters der sozialistischen Partei (MSZP) reagieren, nachdem für den Terrorismus die Terroristen verantwortlich sind. Dies ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Satz. Ich glaube kaum, dass irgendwer unter uns den Wahrheitsgehalt dieses Satzes in Frage stellen würde. Das Problem ist aber, dass dieser Satz so für sich alleine keinen Bestand hat, er fällt um, weil sich neben ihn auch eine andere Frage aufzwingt: Natürlich sind für das Verüben der Terrorakte die Terroristen verantwortlich – doch wer trägt die Verantwortung dafür, uns zu verteidigen? Dafür sind wir verantwortlich! Also liegt die Minimierung der Terrorgefahr, die Vorbereitung, die Abwehr, die Voraussehbarkeit, alles das, was man unternehmen kann, um das Risiko zu senken, in unserer Verantwortung. Und wer nicht nur ja zur Einwanderung gesagt hat, sondern die Menschen aus den Kriegszonen hereintransportiert hat, jene führenden Politiker haben nicht alles im Interesse dessen getan, was die Sicherheit der europäischen Menschen erforderte. Dies ist die Wahrheit!
Ich weiß, die Trauer ist noch zu nahe, und die Frage nach der Verantwortung zu stellen, ist besonders dann, wenn man das Gefühl hat, keinen Anteil daran zu haben, vielleicht keine geschmackvolle Sache, doch früher oder später müssen wir diese Frage stellen. Wir müssen die Frage stellen, ob jene, die sie hereingebracht… Weil sie nicht hereingelassen worden sind, das möchte ich noch einmal wiederholen: Die Einwanderer kommen heute nicht nach Europa, wir schicken Fahrzeuge, um sie abzuholen. Wir zwingen die Griechen nicht, die Vereinbarung einzuhalten, dort kommen die Einwanderer herein, dann schicken wir Fahrzeuge, um sie zu transportieren, und in der Europäischen Union wird nur darüber diskutiert, auf welche Weise wir ihnen die sichersten und humansten Reisebedingungen schaffen können, während wir nicht wissen, ob wir nicht gerade jetzt jene Terroristen hereintransportieren, die dann in Paris all das verüben, was wir alle gesehen haben. Ich glaube also, dass wir besonnen und mit Maß, aber die Frage stellen müssen, ob die führenden Politiker Europas alles unternommen haben, um die Sicherheit der europäischen Menschen zu schützen, auch dann, wenn sie im Übrigen nicht für die terroristischen Akte verantwortlich sind, weil wie das auch die MSZP gesagt hatte: die Terroristen sind dafür verantwortlich. Doch bedeutet dies nicht, dass unsere Verantwortung gleich Null wäre. Hierüber müssen wir im Späteren reden.
Doch gibt es hier ein noch größeres Problem, sehr geehrter Herr Abgeordneter, das Ihre Wortmeldung angeschnitten hat, ob nämlich ein Unfall passiert sei, also all das, was geschehen ist, eine Entgleisung, ein außerordentliches Ereignis oder ein systemimmanenter Fehler. Ob es sich hier nicht darum handelt – auch dies können wir heute nicht diskutieren, glaube ich, und ich will jetzt keine ideologischen Kategorien benutzen, weil dies das Gespräch in eine falsche Richtung führen würde –, dass das ideologische Denken, dass die europäische Intelligenz auch schon immer charakterisiert hat, und hier hat die europäische Intelligenz immer einen großen und starken Anspruch darauf erhoben, an der europäischen Politik teilzunehmen, und hat auf diese Weise die Ideologie in die europäische Politik hereingebracht und zugleich den Pragmatismus sowie die Gesetze des gesunden Menschenverstandes zur Seite gedrängt, nun, ob es sich hier nicht darum handelt, dass in der europäischen Politik diese Herangehensweise einen zu großen Raum erhalten und sich eine Art selbstmörderischer Neigung unserer bemächtigt hat. Denn als was kann man das bezeichnen, ich wiederhole es und bitte um Verzeihung, wenn ich Sie langweile, dass wir mit Syrien im Krieg stehen, und zwar stehen mit der syrischen Regierung europäische Mächte, Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Krieg; auf dem Gebiet des Irak führen wir militärische Operationen durch; auf dem Gebiet Afghanistans führen wir militärische Operationen durch, und dann holen wir selbst aus der Kriegszone Menschen ohne Kontrolle, ohne Identifizierung in unser eigenes friedliches Hinterland, ohne zu wissen, wer sie sind, ob sie schon eine Waffe in ihren Händen gehalten haben, ob sie schon einen Menschen getötet haben, ob sie Mitglied in irgendeiner terroristischen Organisation sind, ob sie eine militärische Ausbildung erhalten haben, ohne, dass wir hierüber auch nur irgendetwas wüssten?! Nun, was kann man hierzu sagen?! Dies ist ein systemischer Fehler. Solch einen Fehler kann man nicht begehen, das ist kein Irrtum, keine falsche Entscheidung. Und wenn es eine Verzerrung in der Denkweise ist, dann hindert uns dies – wenn wir in unserem System denken – daran, gegen diese Bedrohung aufzutreten. Aus diesem Grunde habe ich gesagt, dass wir meiner Ansicht nach eine neue europäische Politik benötigen. Es geht nicht darum, dass durch einen besseren Informationsfluss der Fehler behoben werden muss, sondern wir müssen anders über unser Leben und unsere Zukunft denken, das heißt im Klartext: Wir brauchen eine andere Politik, weil wir uns ansonsten nicht schützen können, und die selbstmörderischen Neigungen der europäischen Intelligenz über uns herrschen werden.
Und selbstverständlich möchte ich diesen Gedanken nicht überspannen, denn zugleich hat die jeweilige europäische Linke, die ungarische politische Linke dazugezählt, Recht, dass es ohne geistige Frische, ohne geistige Innovationen keine Politik und auch kein erfolgreiches sowie würdiges Leben gibt. Doch Europa muss wissen, dass es nicht das erste Mal einen Fehler begeht. Wenn die europäische Politik nicht stark genug ist, dann bemächtigen sich bestimmte ideologische Neigungen, verrückte Ideen des Kontinents. So etwas ist schon einmal geschehen, wir stehen dem nicht das erste Mal gegenüber. Dies geschah, als man dachte – übrigens die europäischen Intellektuellen taten dies –, dass man nach der Rasse eine Reihenfolge der europäischen Menschen aufstellen könnte. Und daraus ist dann der Nationalsozialismus und die Rassentheorie geworden. Dann haben in Europa kluge Menschen gedacht, es sei gut, wenn wir alle gleich sind, woraus dann der Homo sovieticus und der Stalinismus wurden. Und jetzt gibt es meiner Ansicht nach Menschen, die glauben, wir würden dann glücklich werden, dann würde das Leben in Europa schön sein, wenn wir die Nationalstaaten abschaffen, sie ausschalten. Dies ist eine mindestens genauso verrückte Idee, wie es die vorherigen waren. Aus diesem Grunde müssen wir uns mit Bestimmtheit für das Europa der Nationen und die sich auf Grundlage der Nationen organisierende Europäische Union einsetzen. Meiner Ansicht nach ist dies unsere Aufgabe und diese Arbeit werden wir in der folgenden Zeit verrichten müssen.