8. Januar 2016

Éva Kocsis: Es ist fünf Minuten nach halb acht! Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán mit seinem ersten Interview als Ministerpräsident in diesem Jahr. Guten Morgen!

Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Am Jahresanfang wünschen wir im Allgemeinen ein glückliches neues Jahr, doch stellt man sich die Frage, wodurch denn ein neues Jahr ein glückliches wird. Wägen wir ab! In der einen Waagschale finden sich die positiven Maßnahmen im sozialen Bereich: Senkungen der Mehrwertsteuer, Einkommenssteuersenkung, Unterstützung des Baus von Eigenheimen; in der anderen Waagschale befinden sich zum Beispiel solche Dinge, wie jene, mit denen wir unser letztes Interview beendet haben, zum Beispiel die Abstimmung des Unterrichts auf das Wirtschaftssystem oder das, was Ihr Staatssekretär für das Gesundheitswesen gesagt hat, dass das Gesundheitswesen im Wesentlichen das letzte sozialistische Überbleibsel ist. Wenn wir die Herausforderungen gegen die Positiva abwägen, in welche Richtung schlägt das Zünglein der Waage jetzt zu Beginn des Jahres aus?

Lassen Sie mich Ihre Redewendung aufgreifen, auch ich wünsche also allen ein glückliches neues Jahr, Ihnen und auch den Zuhörern! Und ich muss auch gleich mit der Ausflucht beginnen, dass die Regierung selbstverständlich vieles tun kann, jedoch Glück und auch ein glückliches Leben geben kann sie nicht, denn zum glücklichen Leben bedarf es viel mehr als das, was wir geben könnten; was wir aber geben können, ist, dass wir Umstände schaffen, damit ein jeder verstehe und spüre, dass seine Anstrengungen Sinn haben, dass die Arbeit Sinn hat. Wenn wir, meiner Ansicht nach, jetzt die vergangenen fünf Jahre überblicken, um, nicht wahr, eine Bilanz zu ziehen, dann sehen wir, dass wir immer stärker in die Richtung voranschreiten, in der jeder das Gefühl haben kann, seine Arbeit und seine Anstrengungen haben einen Sinn, denn jedes Jahr kann er einen Schritt vorwärts machen. Und ein jeder kann einen Schritt nach vorne tun, dies ist eine nationale Regierung, sie vertritt nicht einzelne Schichten und Gruppen, sondern die gesamte Nation, ein jedes Mitglied dieser, und deshalb wollen wir jeder Gruppe, Klasse, Schicht die Möglichkeiten bieten, um voranzukommen. Dies wird auch dieses Jahr so sein. Es gibt Steuersenkungen, eine in ihrem realen Wert Erhöhung des Minimallohnes um etwa 5 Prozent, verbunden mit einer Steuersenkung. Meiner Ansicht nach hat es hierfür seit 2002 kein Beispiel gegeben. Und wir beginnen mit einer ernsthaften Form der Unterstützung der Schaffung von Eigenheimen. Nun, jetzt sind dies wichtige Dinge, doch würde ich die Zuhörer lieber darauf aufmerksam machen, dass es nicht nur wichtig ist, zu betrachten, was im folgenden oder in diesem Jahr geschehen wird, welche Möglichkeiten sich bieten werden, sondern ich möchte sie auch darum bitten, auch das zu fühlen, dass jenes, was wir einmal schon gemacht haben, das ist auch alles vorhanden, ist erhalten geblieben. Also hat die Regierung nicht politische Kampagnen geführt, sondern wenn sie etwas in die Wege geleitet hat – öffentliche Beschäftigung oder Steuersenkung oder Schaffung von Arbeitsplätzen, zum Beispiel der Aktionsplan zum Schutz der Arbeitsplätze, die Unterstützung der Familien –, dann war es damit nicht nach ein-zwei Jahren vorbei, sondern hat sich in das ungarische Leben integriert, das ist alles da, damit kann man rechnen, darauf kann man aufbauen, damit kann man kalkulieren. Das heißt also, wir machen nicht nur einfach einen Schritt nach vorne, sondern es gibt eine sichere Grundlage, von der ausgehend ein jeder seine eigene, persönliche Zukunft und auch jene seiner Familie planen kann.

Welche sind jene Gebiete, über die Sie Ihren Ministern gesagt haben, dass Sie in den folgenden Monaten auf diesen Gebieten einen Schritt nach vorne sehen möchten?

Nun, wir müssen jetzt all das verwirklichen, was wir in unseren Gesetzen für dieses Jahr entschieden haben: Steuersenkung, Schaffung von Eigenheimen und die Stärkung der Familien. Die Steuervergünstigungen für Familien mit zwei Kindern werden wir, nicht wahr, in mehreren Schritten erhöhen, dieses Jahr beginnt es. Wir haben diese für viele Menschen geeignete Unterstützung zur Schaffung von Eigenheimen angekündigt. Hierbei müssen wir noch weitere Schritte machen, zum Beispiel in Richtung auf jene, die durch die öffentliche Beschäftigung eine Arbeit haben. Hieran arbeiten wir. Und auch die Steuersenkungen müssen durchgeführt werden, doch ich muss schon jetzt, nicht wahr, daran denken, was im Jahre 2017 sein wird. Denn den Finanzplan für 2017, den wir Budget nennen, möchten wir ebenso bis zum 1. Juli 2016 durch das Parlament annehmen lassen, wie wir das auch in diesem Jahr getan haben. Wir planen also schon jetzt, im ersten Quartal das Jahr 2017, in dem wir die Richtungen weiter verfolgen wollen, die wir in den vergangenen Jahren eingeschlagen haben.

Die Änderungen, die Sie im Zusammenhang mit der Schaffung von Eigenheimen erwähnt haben, sind notwendig, weil es Menschen gibt, die wegen Bedürftigkeit oder anderer Gründe hiervon ausgeschlossen geblieben sind?

Nein, sondern weil man kein System der Unterstützung von Eigenheimen konstruieren kann, das auf einmal allen die gleichen Möglichkeiten bietet. Weil wir nicht gleich sind, und uns nicht in der gleichen Lage befinden, und auch die Familien in Ungarn sehr unterschiedlich sind, wir sind in unterschiedlichen finanziellen Situationen, und bei der Unterstützung der Familien muss die Unterstützung mit Krediten kombiniert werden, für die Kredite muss man bestimmten Voraussetzungen genügen, dies ist also eine komplizierte Welt. Hier müssen wir schön Schritt für Schritt ganz bis zu dem Punkt voranschreiten, bis wir nicht sehen, dass schon ein jeder die Möglichkeit besitzt, einen Schritt voran zu machen. Hierzu gibt es meiner Ansicht nach die Möglichkeit, denn in den vergangenen fünf Jahren sind alle wichtigen Sachen in Ungarn, die auf den ersten Blick als unmöglich erschienen waren, letztendlich zur nationalen Sache geworden. Nebenkostensenkung. Man sagte, so etwas gäbe es nicht, die Nebenkosten könne man nur erhöhen, aber nicht senken. Wir haben gesagt, dies ist nicht unmöglich, wir machen es, es ist auch geschehen. Heute stimmen ihr schon alle zu. Die Schaffung von Eigenheimen ist auch so eine Sache. Heute kritisiert jeder noch den einen oder den anderen Punkt davon, es werden dann einige Jahre vergehen, und es wird sich herausstellen, dass sich alle so erinnern, dass sie dies schon seit sehr langem gewollt haben. Ja sogar, dass sie selbst an der Ausarbeitung teilgenommen hätten, und daraus wir eine nationale Angelegenheit.

Es gab wichtige Treffen, dabei sind erst einige Tage von diesem Jahr vergangen. Am Mittwoch haben Sie Jarosław Kaczyński, den Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei getroffen, und gestern David Cameron, den britischen Ministerpräsidenten. Wie sehen Sie es eigentlich nach den Treffen, haben die Reformen der Union, die britischen Reformen der Union einen starken Verbündeten bekommen oder hat die immer stärker werdende Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten einen neuen Verbündeten erhalten?

Beide Behauptungen sind zugleich wahr. Ich habe es, nicht wahr, als wichtig erachtet, dass wir dieses Jahr so beginnen, wie das vergangene. Wir haben auch das vergangene Jahr, nicht wahr, mit einer starken außenpolitischen Aktion begonnen. Die deutsche Kanzlerin und der russische Präsident sind hierher gekommen, und jetzt war der britische Ministerpräsident hier und auch die polnische Ministerpräsidentin wird kommen, und ich habe inzwischen mit dem Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei gesprochen, was ein spezielles Treffen war. Ich könnte es auch als das Treffen von Freiheitskampfveteranen bezeichnen, denn aus dem alten Widerstand, noch aus dem Widerstand gegen das kommunistische System sind wir nur noch wenige übrig, die eine tatsächliche politische Kraft vertreten oder auf irgendeine Weise Macht ausüben. Kaczyński ist ein solcher und ich auch. Es war also ein interessantes Treffen, wir haben uns lange über die achtziger Jahre unterhalten, über die Solidarność, über Ungarn, den Systemwechsel. Jedenfalls halte ich es für wichtig, zu sagen, dass es sich für die Europäische Union nicht lohnt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, welche Sanktionen sie gegen Polen anwenden will, denn dazu gehört die Einstimmigkeit, und Ungarn wird niemals irgendeine gegen Polen gerichtete Sanktion unterstützen. Wir haben das bereits erlitten, was jetzt mit den Polen geschieht, und auch wir hatten gefordert, dass man Ungarn Respekt zollen sollte, und meiner Ansicht nach haben auch die Polen Recht, wenn sie sagen, so kann man nicht mit ihnen reden, wie dies jetzt immer häufiger in Brüssel geschieht. Mehr Respekt für die Polen, denn sie verdienen ihn. Der Besuch des britischen Ministerpräsidenten kreiste tatsächlich um den Themenkreis der europäischen Angelegenheiten, weil wir alle spüren, dass das Gewicht Europas, seine Rolle, die es in der Weltwirtschaft bekleidet, ganz besonders abnimmt, und wir verlieren, unser Kontinent verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Die Briten sind ein Händlervolk, sie betrifft dies besonders schwer, doch auch für uns ist dies nicht gut so. Also wenn wir ein starkes Europa wollen – und das wollen wir, Herr Ministerpräsident Cameron und auch ich, die Engländer und auch die Ungarn wollen ein starkes Europa –, dann müssen wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern. Und die Briten sind der Meinung – und wir teilen diese Meinung –, dass man nicht in kleinen Schritten voranschreiten muss, nicht klein-klein geflickt und ausgebessert werden muss, sondern die Europäische Union muss erneuert werden, sehr ernste Fragen müssen behandelt werden. Die Briten haben dies getan. Dies ist gut für uns. Natürlich sind wir in der Europäischen Union gleichberechtigt, doch heißt dies noch nicht, dass auch unser Körpergewicht identisch wäre. Also wenn wir etwas zur Sprache bringen, dann wird das natürlich angehört, doch hat das keine schweren und sofortigen Folgen. Wenn die Briten sagen, dies ist eine wichtige Angelegenheit, sie bereiten darüber ein Referendum vor und bitten die Europäische Union aus diesem Grunde, den Weg der Erneuerung einzuschlagen, dann zeigt dies sogleich eine Wirkung. Wir müssen also im Auftreten der Briten eine Möglichkeit zur Erneuerung Europas sehen. Wir haben auch in diesem Geiste verhandelt.

Ja, wenn wir uns den britischen Vorschlägen oder Reformen unter dem Aspekt annähern, wie groß die reale Chance dafür ist, dass eine Europäische Union, die selbst angesichts viel geringerer Probleme auf der Stelle tritt, also welche Chancen besitzen diese britischen Reformen, dann ist man ziemlich skeptisch.

Ja, doch zuerst lohnt es sich für uns, die britische Kultur oder die britische Annäherung in der Union zu verbreiten. Die Briten besitzen eine wunderbare Eigenschaft. Natürlich ist kein Volk vollkommen, nicht einmal das britische oder das englische, doch verfügen sie über eine wunderbare Eigenschaft: Sie lassen sich nicht stören, sie leben ihr eigenes Leben, sie sind immer Briten, und werden es auch bleiben. Weil sie zuerst Engländer, dann danach Europäer sind, und sie akzeptieren keinen äußeren Druck, und sie leben so, wie dies im Übrigen seit vielen hundert Jahren aus ihren Traditionen und ihren Sitten hervorgeht. Und es ist meiner Ansicht nach eine wichtige Eigenschaft, dass wir endlich bemerken sollten, dass wir nicht irgendeine Knetmasse, eine Vereinigte Staaten von Europa ohne Nationen erschaffen müssen, sondern wir müssen die Nationen stärken, und aus den starken Nationen wird dann ein starker Bund hervorgehen, den wir Europäische Union nennen. Diese britische Denkweise entspricht dem Denken der Mitteleuropäer, mit dem der Polen und auch der Ungarn, mit dem der Slowaken und auch der Tschechen, und meiner Ansicht nach gibt es hier doch ein natürliches Bündnis.

Um die ganze Unterstützung zu bekommen, muss im Grunde die wegen der europäischen Arbeitnehmer, der osteuropäischen Arbeitnehmer strittige Frage geregelt werden?

In Mitteleuropa achtet ein jeder, da in erster Linie wir davon betroffen sind oder wir hier Risiken sehen, achtet ein jeder darauf, doch sind die britischen Vorschläge viel umfassender als dies allein. Die Briten schlagen zum Beispiel die Verstärkung der Rolle der nationalen Parlamente vor. Wenn die nationalen Parlamente den Eindruck haben, dass in Europa Gesetzesvorschläge angefertigt werden, die für sie abträglich sind, dann können sie diesen Prozess aufhalten. Dieses unterstützen wir, dies ist eine die Souveränität steigernde Maßnahme. Dann haben die Briten in der Hinsicht sieben Grundsätze verkündet, dass man nicht zweierlei Maß anwenden darf, weil es heute unausgesprochen die allgemeine Praxis in Europa ist, mit zweierlei Maß zu messen. Solch ein „Brüsselismus” herrscht. Die Briten sagen, dass zwischen denen, die in der Eurozone drin sind, und jenen, die es nicht sind, keine Diskriminierung geschehen, also kein zweierlei Maß geben dürfe. Für alle müssen die gleichen Regeln Gültigkeit haben. Dann schlagen sie vor, dass man das britische System der Sozialversorgung nicht missbrauchen können soll. Ich stimme dem zu. Zugleich können wir auch keinerlei Diskriminierung akzeptieren, denn die fünfzig-und-etwas-mehr-tausend Menschen, die heute in Großbritannien arbeiten – ungarische Menschen –, arbeiten ehrlich, arbeiten gut, und wir können beweisen, dass ihre Einzahlungen in den britischen Haushalt die von dort erhaltenen Leistungen übersteigen. Hinzukommt noch, dass diese fünfzig-und-etwas-mehr-tausend Menschen eine britische Statistik aus dem Jahre 2014 über die dort arbeitenden Ungarn ist; jetzt haben wir natürlich schon den Januar 2016, jedoch ist dies in seinen Dimensionen weitaus weniger als die Zahl der, sagen wir, Polen, von denen etwa achthunderttausend Menschen dort arbeiten. Auch deshalb ist es für uns, Ungarn, gut, wenn diese Frage nicht in einem britisch-ungarischen bilateralen Abkommen geklärt wird, sondern in einem Abkommen zwischen den vier Visegrád-Staaten und Großbritannien. Weil was den polnischen Interessen entspricht, das wird auch den ungarischen Interessen entsprechen.

Die Vorstellung von der Souveränität, die Cameron hat, entspricht der Ihren, doch entspricht sie gerade nicht der Einstellung der Stärksten. Folgt ein Europa der zweigeteilten Entwicklung?

Wir möchten dies vermeiden. Die europäische Verfassung möchte heute, nicht wahr, niemand antasten, sagen wir den europäische Verfassung genannten Vertrag über die Europäische Union. Denn ein jeder weiß, dass wenn diese Debatte eröffnet wird, dann wird es sehr schwer sein, sie abzuschließen, doch habe ich den Eindruck, dass die Europäische Union an solch schweren Übeln leidet – ich würde diese „Brüsselismus” nennen –, die wir ohne die Modifizierung des Grundlagenvertrages nicht werden beheben können. Heute ist der Reflex der, nicht wahr, und das hat schwerwiegende Folgen – sehen Sie sich den Fall der Migration an –, dass sich ein Übel zeigt, und der erste Reflex – als solch ein „Brüsselismus” – lautet, dass dann sofort eine europäische Lösung vonnöten sei, und entziehen wir die Kompetenzen, machen wir, sagen wir, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik. Anstatt zuzulassen, dass jeder Staat seine Pflicht erfüllt und seine Außengrenzen verteidigt. Wenn man das getan hätte, was wir vorgeschlagen hatten, dass ein jeder seine Außengrenzen schützen solle, dann wären heute in Europa eventuell einige Zehntausend tatsächlicher politischer Flüchtlinge, die verfolgt worden sind, doch gäbe es keine 1,6 Millionen illegale Einwanderer. Ich glaube also, dass der Reflex nicht gut ist, aufgrund dessen sofort jede Frage zu einer Brüsseler Frage erklärt wird. Dies ist der „Brüsselismus”, der schleichende Entzug von Zuständigkeiten der Nationalstaaten. In der Migrationsangelegenheit sieht heute schon ein jeder die schwerwiegenden Risiken, die Sicherheits- und die wirtschaftlichen Risiken. Deshalb besteht, weil die Wirklichkeit auf unserer Seite ist, auf der britisch-mitteleuropäischen Seite, die Chance, hier eine Veränderung zu erreichen.

Ja, aber während wir über die osteuropäischen Arbeitnehmer sprechen, über ihre Leistungen, übrigens nicht nur in Großbritannien, sondern, sagen wir, auch in Deutschland, sprechen gerade große deutsche Firmen oder Angela Merkel oder der Deutsche Industrie- und Handelskammertag darüber, dass es nötig sei, die von Ihnen erwähnten Migranten sofort in den Arbeitsmarkt mit einzubeziehen.

Meiner Ansicht nach ist dies eine fehlerhafte Argumentation. Es kann sein, dass es in Europa ein Land gibt, dass zusätzliche Arbeitskräfte benötigt, obwohl das freie Strömen der Arbeitskräfte innerhalb der Europäischen Union gerade aus dem Grunde ermöglicht wurde, damit es, falls es in einem Land mehr Arbeitsmöglichkeiten gibt, man sich dorthin begeben könne, und wenn sich anderswo bessere Möglichkeiten eröffnen, dann dorthin, und wir uns auf diese Weise gegenseitig helfen können. Wenn aber trotz dessen, trotz des freien inneren Strömens der Arbeitskräfte von außen Arbeitskräfte gebraucht werden, dann muss dies im Rahmen des Gastarbeitersystems gelöst werden. Die Frage der Migration mit der der Gastarbeiter zu vermischen, ist ein schwerwiegender Fehler. Es existiert in Europa das Gastarbeitersystem, wie man von außen Gastarbeiter hereinholen kann. Schon das Land, das so etwas möchte, kann Gastarbeiter von außerhalb hereinholen – denn dies ist nicht das Recht Brüssels, sondern jenes der Nationalstaaten. Doch ist dieser Gastarbeiter kein Migrant, der einbricht, den wir nicht ausgewählt haben, den wir nicht für eine Arbeit ausgewählt haben, sondern die Tür unseres Hauses ganz einfach auftritt, und jetzt muss man mit ihm etwas anstellen. Das sind zwei ganz verschiedene Welten: Die Welt der Gastarbeiter und die Welt der Migranten.

Sprechen wir über die Migration! Angesichts der Ereignisse von Köln sind wir mit einem ziemlich erschreckenden Gesicht all dessen konfrontiert, was in Europa geschieht. Übrigens nicht nur in Köln, auch in Salzburg oder zum Beispiel auch in den Ländern im Norden haben wir ähnliche Erscheinungen gesehen. Ich spreche über die Angriffe zu Silvester. Die meisten Menschen nehmen mit ziemlichem Unverständnis auf, warum einerseits so lange geschwiegen werden musste, und dann, warum man darüber schweigen musste, wer dies getan hat. Ist die Leitung den Händen der führenden europäischen Politiker entglitten?

Ich möchte das Jahr nicht mit Debatten anfangen, die einen ideologischen Charakter zu besitzen scheinen, aber ich sage seit langem, dass die liberale Denkweise, der Liberalismus sich in seiner jetzigen Form, in dieser seiner modernen Form gegen die Freiheit gewendet hat. Also der Umstand, dass die Liberalen bestimmte Prinzipien zu Dogmen reduziert haben und diese obligatorisch machen wollen, schadet der Redefreiheit. Auch bei diesem jetzigen Fall geht es darum, dass jene, die uns über die Redefreiheit belehren wollen, aus dem Grunde, weil bestimmte Entwicklungen des wirklichen Lebens nicht mit ihren ideologischen Anschauungen übereinstimmen – weil sie die Flüchtlinge oder Einwanderer aufnehmen wollen, ihrer Meinung nach ist das eine gute Sache, dass Einwanderer in ein Land kommen –, deshalb unterdrücken sie alle mit ihnen in Verbindung stehenden negativen Nachrichten: Im Namen des Liberalismus und der Freiheit. Dabei schaden sie jetzt im Namen der Freiheit der Demokratie, und sie bewegen sich nicht in Richtung auf ein System, das auf Freiheit aufgebaut ist. Deshalb ist heute in Mitteleuropa die Pressefreiheit breiter und tiefer, die Presse bunter, als in zahlreichen westeuropäischen Ländern. Der ganze gegenwärtige Vorfall, die Fälle der Belästigungen, der sexuellen Übergriffe machen – über die Frage der öffentlichen Sicherheit hinaus – auf diese Tatsache, auf die Situation des Zustandes der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Öffentlichkeit in Westeuropa aufmerksam.

Sprechen wir noch ein bisschen darüber, was in der Frage der Migration zu erwarten ist. Ich möchte etwas entfernter beginnen, doch ist dies für die Lösung notwendig. Sie haben bereits früher darüber gesprochen, dass Sie viele Anzeichen dafür sehen, aus denen man auf irgendeine Art von Steuerung schließen könne. Vor kurzem, vor einigen Tagen gab unserer Sendung Kelly M. Greenhill, Professorin an der Bostoner Tufts Universität sowie an der Harvard ein Interview, die übrigens im Jahre 2010 hierüber ein Buch geschrieben hat, im Grunde genommen darüber, dass politische Kräfte bewusst Migration auslösen. Sie sagte, aufgrund ihrer Forschungen seien Migrationswellen im Grunde in vielen Fällen keine spontanen Prozesse, sondern ganz bewusst organisierte Formen der politischen Druckausübung. Sie hat im Übrigen im Interview zum Beispiel auch die Rolle der Türkei erwähnt. All diese Dinge vergleichend und abwägend, wo wird diese Frage angekommen sein, wenn wir sie am Ende dieses Jahr bewerten werden?

Die Deutschen haben in den vergangenen Tagen gesagt, man müsse die Flut der Einwanderer verlangsamen. Wir sollten dabei, nicht wahr, nicht vergessen, dass heute monatlich immer noch etwa hunderttausend illegale Migranten auf dem Gebiet Europas ankommen. Dies sehen wir, Ungarn, jetzt nicht, denn wir haben, nicht wahr, uns verteidigt, und hier kommen sie nicht an. Deshalb ist dieses Problem nicht Teil unseres Lebens. Doch sollten wir nicht vergessen, dass es uns berührt, denn hier haben wir es mit einer europäischen Angelegenheit zu tun, und alle anderen Länder leiden darunter, denn sie haben nicht rechtzeitig die notwendigen Schritte zur Verteidigung unternommen. Jetzt versuchen sie es. Sehen Sie, jetzt führen sie die Grenzkontrollen wieder ein, nicht wahr, und so weiter. Dies ist für uns im Übrigen keine gute Nachricht, wir freuen uns nicht darüber, denn nachdem sie sie nicht verteidigen konnten – denn außer uns, Ungarn, hat niemand die Außengrenzen der Schengenzone verteidigt –, entstehen jetzt schon innerhalb Schengens Verteidigungsanlagen, Visasysteme, Grenzkontrollen und Zäune. Man hätte nicht innerhalb Schengens, nicht innerhalb Europas Zäune bauen und Verteidigungslinien errichten müssen, sondern an der Außengrenze der Schengen-Zone, so wie das Ungarn getan hat. Dann wäre drinnen die Freiheit erhalten geblieben. Doch nachdem wir die Zone der Freiheit nicht von außen verteidigt haben, wird die Zone der Freiheit auch innen immer kleiner, wir verlieren immer mehr die Möglichkeit der freien Bewegung. Das sind alles schlechte Entwicklungen. Also entgegen dem, dass jemand sagt, die Ungarn haben Recht behalten, das kann sein, dass es so ist, doch hat dies uns überhaupt nicht glücklich gemacht, weil sich eine dunkle Prophezeiung erfüllt. Wenn wir nicht die Außengrenzen verteidigen, dann verlieren wir unsere innere Freiheit. Ungarn freut sich hierüber nicht, deshalb denken wir, dass sich der deutsche Standpunkt in Richtung auf Nüchternheit bewegt hat, dass man die Einwanderung verlangsamen muss, doch wird dies meiner Ansicht nach zu wenig sein. Es wird die entscheidende Frage des Jahres 2016 sein, ob die anderen endlich ebenfalls erkennen, dass es nicht ausreicht, zu verlangsamen, sondern sie muss gestoppt werden. Und hierzu müssen Verteidigungslinien ausgebaut werden, hierin hat Ungarn ein Vorbild gezeigt. Meiner Ansicht nach ist die nächste Verteidigungslinie, die ausgebaut werden muss, an der Nordgrenze Griechenlands, an der Grenze von Bulgarien und Griechenland, von Mazedonien und Griechenland muss eine europäische Verteidigungslinie ausgebaut werden. Bulgarien muss in die Schengen-Zone aufgenommen werden, da sie gut gekämpft und alle ihre vertraglichen Pflichten erfüllt haben. Mazedonien müssen wir stärken, man muss Geld, Menschen, Mittel dorthin schicken, damit wir eine europäische Verteidigungslinie aufbauen können. Ich vertraue nicht darauf, dass das mit den Türken geschlossene Abkommen an sich genügend wäre. Es ist eine schöne Sache, dass die Türken versprochen haben, dass es dort eine Verteidigungslinie geben wird, doch wir müssen weiter drinnen, aus eigener Kraft, an der Nordgrenze Griechenlands eine neue europäische Verteidigungslinie bauen und die Einwanderung dort aufhalten, und nicht nur verlangsamen, sie muss gestoppt werden.

Sprechen wir noch über zwei innenpolitische Ereignisse, Entwicklungen! Es ist die Nachricht des gestrigen Tages, eine sich seit langem dahin ziehende Angelegenheit im Übrigen, die Anhebung des Kernkapitals der Bank FHB. Hier haben wir es, nicht wahr, mit einer Bank zu tun, die gemischte Besitzer aufweist, der Staat besitzt einen Anteil an ihr, aber auch Privatkapital steckt in ihr. Warum ist dies dem Staat so wichtig?

Tatsächlich ist die erste Diskussion des Jahres hierum ausgebrochen. Dieses Geldinstitut, um das es geht, ist, nicht wahr, Teil des Sparkassensystems geworden. Und das Sparkassensystem ist der ungarischen Regierung wichtig. In jedem gesunden europäischen Finanzsystem spielen diese Sparkassen eine wichtige Rolle. Deshalb hat die ungarische Regierung, viele politische Diskussionen, ja Anfeindungen auf sich nehmend, hier eingegriffen, und hat das Sparkassensystem erneuert. Wir haben auch sehr viel Geld hierauf verwendet, deshalb betrachten wir die Sparkassen als unsere Verbündete und kooperierende Partner. Und als es zu einer Anhebung des Kernkapitals dort bei der FHB kam, hat die ungarische Regierung eine Entscheidung gefällt, nach der wir unseren in dieser Bank vorhandenen Eigentumsanteil aufrechterhalten wollen, was man nicht akzeptiert hat. Sie haben das Recht, dies zurückzuweisen, doch darf man das im Rahmen der Politik der Kooperation und des Bündnisses meiner Ansicht nach nicht machen. Auf diese Weise ist dies ein unfreundlicher, ja sogar ein feindlicher Schritt. Dies ist ein Fehler, den diese Bank beheben muss. Und auch weiterhin halten wir den Regierungs- und nationalökonomischen Anspruch aufrecht, dass der Besitzanteil des ungarischen Staates auch in diesem Geldinstitut nicht abnehmen darf.

Es gibt noch eine Debatte, die gerade jetzt die Nerven in Ungarn blank liegen lässt. Der Zeitpunkt der Olympiade in Rio naht, die der Schwimmweltmeisterschaften in Ungarn ebenfalls, und derweil ist die Spannung um den Schwimmverband immer größer.

Es gibt im Leben eines Menschen oder eines Landes Dinge, die schwer zu verstehen sind. Ich zum Beispiel kenne beinahe alle Beteiligten dieser Angelegenheit persönlich. Also als wir uns zum Beispiel um die Ausrichtung der Schwimmweltmeisterschaften beworben haben, hat sich auch Katinka Hosszú zu Wort gemeldet, mit ihr hatte ich – und ich tat dies auch gerne – zusammenzuarbeiten, damit wir sie bekamen, wir traten gemeinsam in der Öffentlichkeit, vor dem Schiedskomitee auf, um diese Veranstaltung ausrichten zu können. Und ich habe in ihrer Person einen herausragenden Menschen kennen lernen können, und sie hat sich sehr gut für die ungarische Sache eingesetzt. Zugleich kenne ich auch unseren Verbandstrainer László Kiss, der ein in Ehren ergrauter Mensch ist, die herausragendste Persönlichkeit des ungarischen Schwimmsportes, man kann seinen Namen meiner Ansicht nach nur aussprechen, indem man den Hut lüftet. Er hat doch schließlich von vielleicht vier oder fünf Olympiaden Medaillen und Goldmedaillen nach Hause gebracht, also reden wir über einen sehr ernsthaften Menschen, wenn von ihm die Rede ist, und auch er ist ein ausgezeichneter Mensch. Also wenn man alle Akteure einzeln für sich kennen lernt, dann sieht man, dass es eine herausragende Sportlerin und ein herausragender Sportler ist, und aus dem Ganzen entsteht dann doch nichts Gutes, sondern die Sache beginnt eine falsche Richtung zu bekommen. Nicht wahr, wegen irgendetwas geht es in die falsche Richtung. Ich sehe jetzt soviel. Nun, da wir uns jetzt auf die Olympiade vorbereiten und die Olympiade in Ungarn eine nationale Angelegenheit ist, ist es vielleicht nicht unbegründet, wenn auch ich über diese Angelegenheit spreche. Zugleich ist der Sport keine parteipolitische Frage, und man muss die Politik vom Sport fernhalten. Wir betrachten, wenn die Regierung sich mit dem Sport beschäftigt, die politischen Ansichten weder der Sportler noch der Trainer und auch nicht die der Verbandsleiter. Denn der Sport könnte in Ungarn ohne Regierungsunterstützung nicht am Leben bleiben, also habe ich auch mit mehreren Betroffenen gesprochen und habe unsere Schlichtungsfähigkeiten angeboten, und habe gesagt, dass wir das, was wir können, gerne tun, nur soll uns jemand sagen, was es ist, womit die Regierung helfen kann, damit die Zusammenarbeit vieler herausragender Menschen nicht unmöglich wird, sondern erneut zu einer Zusammenarbeit in Richtung auf einen olympischen Erfolg werden kann.

Dann hat es sich schon herausgestellt, was das Problem ist?

Nein.

Dann werden wir damit fortsetzen, wenn wir schon wissen, wobei Sie geholfen haben, zu vermitteln.
Sie hörten in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsidenten Viktor Orbán.