Viktor Orbán in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
4. September 2015
Éva Kocsis: Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán, guten Morgen!
Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!
Auf Grund dessen, was gestern auf der Pressekonferenz in Brüssel gesagt worden ist, die Sie gemeinsam mit Martin Schulz gegeben haben, kann man darauf schließen, dass es im Wesentlichen Unstimmigkeiten auf den dieser vorhergehenden Verhandlungen gab. Hat man Sie versucht, von der Quote zu überzeugen?
Unzweifelhaft gibt es einen ernsthaften Unterschied in den Meinungen zwischen den europäischen führenden Politkern und Ungarn. Ein Großteil der europäischen politischen Führer glaubt, man müsse einen jeden hereinlassen, und sie betreiben auch diese Praxis, ja es sind sogar jene europäischen Äußerungen allgemein, die man als illegaler Einwanderer nicht anders verstehen kann, als dass es für sie eine ernsthafte Chance dafür gibt, nach Europa zu kommen, dass sie hier hereingelassen werden und hier bleiben können – vor allem in Deutschland. Dies ist eine Tatsache, der man ins Auge blicken muss, es lohnt sich nicht, die Köpfe in den Sand zu stecken, und soweit ich es sehe, versteht es die Europäische Union noch immer nicht, dass wir nur dann eine Chance haben werden, den berechtigten Ansprüchen unserer Bürger zu genügen, ihren Wunsch nach Sicherheit zu befriedigen, den Ansprüchen der Menschen zu genügen, wenn wir unsere Grenzen schützen können. Heute müssen wir alle unsere Kräfte hierauf konzentrieren. Jedwede Erklärung oder jedweder Vorschlag, der die Aufmerksamkeit hiervon ablenkt, schwächt uns in Wirklichkeit. Europa muss jetzt stark sein, die schlechteste Kombination ist, wenn der Mensch reich und schwach ist. Dies ist die Situation mit Europa. Wir müssen also im Schutz unserer Grenzen Stärke zeigen.
Sind außer den Quotensystemen im Rahmen dieser Treffen irgendwelche anderen Strategien genannt worden?
Ich habe jeden meiner Verhandlungspartner gefragt, dass nachdem wir darin übereinstimmen, und dem ist tatsächlich so, dass die Außengrenzen von Europa, die in diesem Fall identisch mit der gemeinsamen Grenze Ungarns mit Serbien sind, auf jeden Fall beschützt werden müssen, und die sich aus den europäischen Rechtsvorschriften ergebenden Pflichten jedes Land, so auch Ungarn, einhalten muss, darin stimmen wir überein, ob sie mir einen besseren Vorschlag machen können als den, das wir eine befestigte Grenzsperre errichten.
Konnten sie es?
Nein. Sie sagten, sie haben den Zaun nicht gern, aber sie haben keine bessere Idee. Ich habe mich bei ihnen dafür bedankt.
Demnach hat zum Beispiel Martin Schulz jene Maßnahmen der ungarischen Regierung, die in der nahen Vergangenheit ergriffen worden sind, nicht kritisiert.
Jeder kritisiert sie, weil ein jeder sagt, sie gefallen ihm nicht, doch hat niemand eine bessere Idee. Jetzt sind wir an diesem Punkt angelangt, dass ist heute der Bogen Europas, die politische Führung.
Als man Sie hinter geschlossenen Türen davon zu überzeugen versuchte, das Quotensystem zu akzeptieren… – übrigens sind Sie nicht der einzige in Europa, der damit nicht einverstanden ist. Nun, als man Sie hinter geschlossenen Türen davon zu überzeugen versuchte, ist für Sie dabei klar geworden, wie dieser Mechanismus ausschauen wird, wer auf Grund von was entscheidet, ob es sicher ist, dass die Quote nicht in einem halben Jahr verändert werden muss?
Sehen Sie, hier stehen wir, sehen Sie, auch Sie haben ein halbes Dutzend von Fragen. Wir reden über die Quote, anstatt dass wir über den Schutz der Grenze reden würden. Meiner Ansicht nach, lohnt es sich über die Quote, über die Verteilung, über die Versorgung der sich bereits drinnen Befindenden dann zu reden, wenn wir in der Lage sind, unsere Grenzen zu schützen. Das Problem ist, das erstrangige Problem mit diesem ganzen Quotengedanken ist, dass wir nicht wissen, über wie viele Menschen wir sprechen. Wir wissen nicht, wie viele kommen werden, wenn wir unsere Grenzen nicht schützen, dann werden wieder und wieder Zehnmillionen kommen. Heute ermutigt Europa jene geradezu, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben sich auf den Weg machen wollen. Wir müssten jenen – natürlich sind die Flüchtlinge eine gesonderte Geschichte, aber – für die, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa kommen wollen, die Botschaft aussenden, dass sie kein Risiko auf sich nehmen sollen, nicht losgehen sollen, nicht das eigene Leben oder das ihres Kindes oder ihrer Familie riskieren sollen, wir wollen keine falschen Illusionen wecken, sie werden nicht nach Europa hereinkommen können, oder wenn sie hereinkommen, so werden sie nach Hause geschickt werden. Das müsste man ganz ehrlich sagen. Dies ist die richtige moralische Verantwortung oder die moralische Grundhaltung. Stattdessen verwickeln wir uns heute in Diskussionen über derartige Quoten und weiteres anstatt des Aussendens klarer Botschaften. Also, ich halte dies für die größte Sorge, und was die Quote angeht, wir können alles überdenken, wenn wir die Grenzen beschützt haben werden. Selbstverständlich unterstütze ich keine Lösungen, über die jene, die sie vorschlagen, selber genau wissen, dass sie keine Lösungen sind. Wie könnte das Quotensystem eine Lösung sein? Werden wegen ihm die Menschen an der Grenze stehen bleiben, werden dann nicht mehrere kommen, werden es dann weniger sein? Die Wirklichkeit ist, dass Europa von einer Völkerwanderung bedroht wird, viele Zehnmillionen Menschen können nach Europa kommen, heute sprechen wir erst nur von Hunderttausenden, doch im nächsten Jahr werden wir bereits über Millionen reden, und dies hat kein Ende, diese Völkerwanderung verfügt über einen uneingeschränkten Nachschub, denn jene, die ankommen, kommen nur zum Teil aus Kriegszonen. Es sind die Einwanderer erschienen, die aus keinen Kriegsgebieten kommen: aus Pakistan, aus Bangladesch, aus Nigeria, aus Mali. Ich sage es noch einmal: Sie besitzen einen unbegrenzten Nachschub. Auf einmal werden wir dann darauf aufmerksam werden, dass wir plötzlich auf unserem eigenen Kontinent in der Minderheit sind.
Jene , die die Einführung der Quoten unterstützen, argumentieren gerade damit, dass von den Schultern Ungarns gerade dann eine große Last abgenommen werden würde, wenn man in Griechenland und Italien Registrierungszentren errichten würde, also müsste man nicht hier diese Masse bewältigen, sondern in Griechenland und Italien.
Was wir bisher an schriftlichen Vorschlägen kennen, so steht in diesen, dass von den in Griechenland und Italien befindlichen Menschen einige Tausend nach Ungarn herübergebracht werden würden, also geht es nicht darum, dass von den irgendwo in Europa Herumspazierenden jemand hierher kommen würde, sondern aus Griechenland und Italien, aus den dortigen Lagern würden Menschen hierher gebracht werden, während im übrigen mehr Menschen in Ungarn ankommen: Zweimal mehr als in Italien und sechsmal mehr als in Griechenland. Also will man aus Ländern Menschen hierher bringen, in die weniger Einwanderer ankommen als in Ungarn. Im Quotensystem müsste man Menschen aus Ungarn wegbringen, doch solch ein Vorschlag ist in keinerlei schriftlicher Form entstanden.
Was ist insgesamt der Grund dafür, dass Sie nicht damit einverstanden sind, dass Menschen anderer Kultur, aus einer anderen Gesellschaft in großer Masse, in großer Anzahl nach Europa kommen?
Schauen Sie, wir denken auf verschiedene Weise über das Leben, ich weiß nicht, wie die Mehrheit der Ungarn dies sich genau denkt, sicherlich werden wir noch die Möglichkeit haben, auch dies im Rahmen einer Konsultation zu besprechen. Ich persönlich glaube an ein Europa, ich möchte in einem Europa leben, ich möchte, dass meine Kinder in einem solchen Europa und in solch einem Ungarn leben könnten, das die Fortsetzung jener tausendjährigen Tradition ist, die unsere Eltern, unsere Großeltern, unsere Urgroßeltern hier erschaffen haben. Und dies kann sich ändern, es kann sich auf die Weise ändern, dass entweder Ungarn besetzt wird, in der Geschichte gab es hierfür schon Beispiele, oder der Kommunismus wird eingeführt und es kann sich auch auf die Weise verändern, dass sich schön langsam, ohne größeres Aufsehen von Tag zu Tag die Zusammensetzung der hier lebenden Menschen verändert. Ich denke, man muss jene Länder, die Entscheidung jener Länder, die sich früher dafür entschieden haben, dass sie mit großen muslimischen Gemeinschaften zusammenleben wollen, respektieren. Frankreich ist solch ein Land, Deutschland ist ein solches. Wir können hierüber keine einzige kritische Meinung haben, dies ist ihre Entscheidung, aber auch wir haben das Recht, zu entscheiden, ob wir ihrem Beispiel folgen wollen oder nicht. Ich würde den Ungarn empfehlen – dies ist meine persönliche Meinung –, dass wir ihrem Beispiel nicht folgen sollten. Jetzt können wir es noch tun, ihrem Beispiel nicht zu folgen. Wenn wir jetzt nicht bei Verstand sind, dann wird dies später keine Frage der Entscheidung mehr sein, sondern Zwang.
Sie sagten gestern, das sei eine deutsche Angelegenheit.
Schauen Sie, ich sehe, dass auf dem Budapester Ostbahnhof die ungarischen Gesetz nicht akzeptieren wollende Einwanderer, die Registrierung verweigernde Einwanderer, die Zusammenarbeit mit der Polizei, mit den Behörden verweigernde Einwanderer den Namen der deutschen Kanzlerin und Deutschlands skandieren, dahin gehen wollen. Und wenn Sie hundert Einwanderer fragen, dann werden mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als neunzig sagen, sie möchten nach Deutschland. Hinzu kommt noch, dass Deutschland erklärt hat, es werde die aus Syrien Kommenden einem besonderen, vorteilhaften Verfahren teilhaftig werden lassen, hieraus ist dann der Zirkus in Ungarn entstanden. Diesen Zirkus in Ungarn hat die verfehlte deutsche Kommunikation entstehen lassen, nicht die ungarische Polizei, nicht die ungarischen Behörden, und noch nicht einmal die Einwanderer, sondern am ehesten jenes falsche Versprechen und die Erweckung der Hoffnung, sie seien nach Deutschland eingeladen. Dann stellte es sich heraus, dass sie die Einladung zurückgezogen haben, und dann standen dort mehrere Tausend Menschen, die nicht kooperieren wollen, die weiter wollen, das ist vollkommen verständlich, doch wir dürfen sie nicht weiterlassen, weil wir die europäischen Regeln einhalten müssen, sie akzeptieren dies nicht. Wenn wir sie weiterlassen, dann schließen die Österreicher die Grenze, sie müssen sie nicht einmal formal schließen, schauen Sie, es hat schon ausgereicht, dass sie angefangen haben, die Pässe zu kontrollieren, und sogleich war der Verkehr zwischen Österreich und Ungarn lahm gelegt. Deshalb müssen wir Ungarn, wenn wir unsere Möglichkeit, jene ungarische Möglichkeit erhalten wollen, uns innerhalb Europas frei bewegen zu können, unsere Außengrenzen schützen und die Einhaltung der europäischen Rechtsvorschriften auch auf dem Budapester Ostbahnhof erzwingen müssen.
Doch wenn das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sagt, sie stellen die Rückführung der syrischen Asylbewerber in die Mitgliedsländer der Europäischen Union ein und führen selber das Verfahren durch, warum macht Ungarn nicht folgendes, an einem Registrierungspunkt oder an 150 Registrierungspunkten diese Menschen im Eiltempo zu registrieren und sie weiter nach Europa zu lassen?
Weil sie sich nicht registrieren wollen. Das Problem ergibt sich also daraus, dass diese Einwanderer sich nicht registrieren wollen, sie wollen nicht, dass wir ihre Namen aufschreiben, sie wollen keine Fingerabdrücke geben, und so weiter, das heißt also sie verweigern die Zusammenarbeit. Sie sagen, dass die ungarischen Behörden nichts mit ihnen zu tun hätten, weil sie nach Deutschland wollen. Deshalb hat die ungarische Regierung auch vorgeschlagen, dass sich die deutsche Botschaft hinausbegeben und diesen Menschen Visa ausgeben soll, und wenn Deutschland ihnen das Visum ausgegeben hat, dann können wir sie weiterziehen lassen, weil dies nicht den europäischen Rechtsvorschriften widerspricht.
Jene kritischen Bemerkungen, die Sie oder János Lázár gestern formuliert haben, nicht wahr, er hat es auch erwähnt, dass eigentlich jene ziemlich chaotische Situation, die sich um den Sonntag und Montag zeigte, in den Reaktionen der ungarischen Behörden, das heißt, ob man gehen könne oder nicht, war dem Umstand zuzuschreiben, dass – um ihn zu zitieren – er den deutschen stellvertretenden Außenminister um eine Auslegung bat, und dieser habe gesagt, wählt im Geheimen 200-300 Menschen aus, setzt sie spektakulär in einen Zug. Diese Art von Spannung, dieses Hin- und Hersenden von Botschaften ist der Situation sicher nicht zuträglich.
Es ist der Situation nicht zuträglich, deshalb müssen wir meiner Ansicht nach eindeutig reden: Ungarn kann in seinen Verfahren die Schengener Vorschriften nicht beiseite lassen. Die Einwanderer müssen mit den ungarischen Behörden zusammenarbeiten. Und wenn Deutschland die Syrer aufnehmen will, dann soll es ihnen die Erlaubnis geben, nach Deutschland zu gehen, eine eindeutige und öffentliche Erlaubnis. Es soll Visa ausstellen, und dann können sie gehen. Ich möchte noch einmal unterstreichen: Jene Politik ist unverantwortlich, die sich auf das Mitgefühl berufend ständig Vorschläge hervorbringt – siehe die Quote –, die die Einwanderer nicht anders deuten können als die große Chance ihres Lebens, denn hier wird man für sie sorgen, denn hier wird man sie verteilen, denn man wird sie hier hereinlassen. Diese Doppeldeutigkeit oder dieses Erwecken falscher Illusionen ist heute das größte Problem der europäischen Politik. Niemand bekennt sich außer Ungarn und vielleicht Spanien klar und ehrlich zu der Verpflichtung, dass der Schengen-Vertrag, den wir alle unterzeichnet haben, den wir gemeinsam beschlossen haben, den jeder europäischer Mitgliedstaat der Union unterzeichnet hat, eingehalten werden muss, und dessen erste Regel lautet, dass niemand auf illegale Weise die Außengrenzen Europas überschreiten darf. Nur hierüber müsste man sprechen, hierauf müsste eindringlich hingewiesen werden. Deshalb hat die ungarische Regierung ab dem 15. September eine neue rechtliche Situation geschaffen, ich hoffe, es gelingt uns heute für diese Veränderungen im Parlament die notwendige Mehrheit zu erhalten. Wir werden eine Woche haben, sogleich, morgen startet bereits eine Informationskampagne, wir werden Flugblätter, Videos, alle Arten von Mitteln benutzen, damit sich auch die Einwanderer auf jene neue Situation vorbereiten können, dass sie Ungarn nicht mehr betreten können, bis jetzt konnte dies gelingen, denn wir hatten 175 Kilometer unbewachte Grenze, eine grüne Grenze, es gab an ihr keine Sperranlagen, doch damit ist nun Schluss, und wir werden nach dem 15. die neuen Vorschriften einhalten und wir werden sie einhalten lassen, hierauf sollten sich alle vorbereiten, Serbien, Mazedonien, die Einwanderer, die Schlepper sollen sich vorbereiten, wir selbst werden uns auch vorbereiten, und es beginnt mit dem 15. September eine neue Zeitrechnung.
Ich verspüre ein wenig ein Dilemma, denn während sie noch vor Jahren aus dem Grunde in Brüssel waren, weil man Sie zur Verantwortung ziehen wollte, warum Sie nicht die europäischen Regeln einhalten, argumentieren Sie jetzt recht entschlossen für die europäischen Regeln, während Angela Merkel sagt, es gebe Situationen, in denen die vorübergehende Lockerung der Regeln sehr wohl notwendig sei, und dies sei jetzt solch eine Situation. Währenddessen knirscht und ächzt Schengen.
In Ungarn muss man die Regeln nicht lockern, sondern strenger gestalten. Dass wir einen jeden hereinlassen sollen, ist ein Unding. Hinzu kommt noch, dass es ein wichtiges Element der europäischen Politik ist, dass die demokratische Politik auf der Meinung und dem Willen der Menschen beruht, man mit den Menschen alles besprechen muss, ich sage nicht, dass man jede Meinung akzeptieren muss, man muss sich aber jede Meinung anhören, und man kann auch nicht über den Umstand hinweggehen, dass heute in den allermeisten Ländern Europas, obwohl ich jetzt nicht hierüber reden möchte, doch in Ungarn mit Sicherheit ein jeder eine strengere Regelung möchte. Aus der Nationalen Konsultation ging dies vollkommen deutlich hervor. Es geht nicht, dass die europäische Elite und die europäischen Regierungen anders sprechen, anders denken und anders handeln als die sie wählenden Menschen. In einer Demokratie kann diese Spannung nicht lange bestehen. Wir müssen den Menschen dienen, und die Menschen sind besorgt, sind voller Furcht, schauen Sie, was für Zustände am Ostbahnhof und in seiner Umgebung sind. Wer dort wohnt, können Sie sich vorstellen, welche Gedanken diesem Menschen am Morgen durch den Kopf gehen, wenn er sein Kind allein in die Schule losschickt. Es gibt hier also auch Situationen von Seuchengefahr, hier ist die nicht kooperierende, immer aggressivere Menge von Einwanderern, also haben die Menschen Angst und sind besorgt, und nicht nur in Ungarn, sondern in ganz Europa. Sie haben das Gefühl, dass ihre politischen Führer, die sie gewählt haben, nicht Herr der Lage sind, dabei ist es die Pflicht eines politischen Führers, wenn er schon die Aufforderung der Menschen zum Regieren angenommen hat, ihre Interessen zu vertreten, Entscheidungen zu fällen, manchmal schwierige Entscheidungen, und der wichtigsten Sache Geltung zu verschaffen, dass seine Wähler in Sicherheit leben können.
Doch gerade deshalb, weil Sie nicht erst in den vergangenen Wochen damit zu argumentieren begonnen hatten, dass Europa sich einem schwerwiegenden Problem gegenübersehen wird, sondern bereits vor langen Monaten. Halten Sie aus diesem Grunde nicht jene Kritik für berechtigt, dass die ungarische Regierung verspätet reagiert hat, dass es keine Aufnahmelager, keine Registrierungszentren in ausreichender Zahl gibt, am Ostbahnhof herrscht Chaos, auch von der Grenzsperre hat sich jeder mehr erwartet. Sie haben als Frist das Ende des August angegeben, und im Grunde kann man den Zaun mit einem in jedem beliebigen Haushalt vorhandenen Werkzeug mit Leichtigkeit durchschneiden.
Erstens versorgen wir in Ungarn jeden Flüchtling, doch müssen wir wissen, dass der Großteil der nach Ungarn Eintretenden nicht aus Flüchtlingen besteht, sondern aus Wirtschaftsflüchtlingen, aus Einwanderern aus ökonomischen Erwägungen. Selbst sie versorgen wir, doch können wir sie nur an jenen Punkten versorgen, an denen die Aufnahmestationen sich befinden. Das Problem ergibt sich nicht daraus, dass wir sie nicht versorgen könnten, sondern das Problem ergibt sich daraus, dass sie nicht dorthin wollen. Das heißt die Menschen in der Gegend um den Ostbahnhof wollen weder nach Debrecen, Bicske noch nach Vámosszabadi. Sie haben erklärt, dass sie nicht mit uns zusammenarbeiten, dafür können die ungarischen Behörden nichts, ja gerade im Gegenteil: Meiner Ansicht nach verdienen die ungarischen Behörden, die Polizisten, die Mitarbeiter des Roten Kreuzes, die Mitarbeiter des Gesundheitswesens, die Mitarbeiter im Strafvollzug, die Soldaten alle eine Anerkennung. Die Polizisten möchte ich besonders hervorheben, denn dass sie es geschafft haben, die Ordnung ohne die Anwendung von physischer Gewalt aufrechtzuerhalten, ist eine großartige polizeiliche Leistung im europäischen Geiste, für die wir – meiner Ansicht nach – alle, die wir in Ungarn in Sicherheit leben wollen, unseren Polizisten Dank schulden. Und was die Frage des verspäteten Reagierens angeht, so sollten Sie nicht vergessen, als wir jene Politik deklariert haben, dass wir uns dieser Herausforderung stellen müssen, dann hat in Ungarn die Opposition zum Beispiel gesagt, solch ein Problem existiere gar nicht. Wir haben die Nationale Konsultation rechtzeitig gestartet, damit jene Eintracht entstehen konnte, die uns die Befugnis gibt, mir, als leitenden Politiker, zu handeln. Wenn ich keine Nationale Konsultation hinter mir hätte, dann gäbe es in Ungarn eine nirgendwohin führende Diskussion darüber, was die Menschen denken. Doch solch eine Diskussion ist nicht notwendig, weil wir rechtzeitig durch die Nationale Konsultation Punkte des Einverständnisses erschaffen haben, in deren Zeichen man jetzt handeln kann. Hinzu kommt noch, dass auch die Europäische Union gesagt hat, wir sollten nicht selbständig handeln, weil es eine gemeinsame europäische Lösung geben werde, wir haben auf diese auch über zwei-drei Monate hinweg gewartet. Als ich gesehen hatte, dass hieraus nun alles Mögliche wird, aber keine gemeinsame europäische Lösung, haben wir sogleich unsere eigene nationale Politik begonnen. Ich glaube, dass wir gemessen an den gegebenen Umständen rechtzeitig, einen demokratischen Ausgangspunkt wählend und entschlossen gehandelt haben. Und die Aufnahmestationen erwarten jene Einwanderer, die eine Unterkunft, Lebensmittel, Wasser brauchen, was sie erhalten werden, zwingen können wir sie nicht dazu, dass sie dorthin gehen.
Es wird ein V4 Gipfeltreffen geben. Worum werden Sie bitten?
Ich glaube, dass wir im Kreise der V4 auf Verständnis treffen können, denn hier gibt es ausschließlich solche Länder, die nah an den Spannungszonen liegen. Von hier aus kann man die wirkliche Welt besser verstehen, anstatt über Ideologie kann man über die Wirklichkeit sprechen, und ich habe den Eindruck, dass dies Länder sind – ich spreche von der Slowakei, Tschechien und Polen –, die ihre eigene gegenwärtige Identität und ihre europäische Geschichte als wertvoll betrachten, und diese Geschichte fortsetzen wollen, und nicht eine vollkommen neue Geschichte beginnen möchten. Also glaube ich, dass wir hier auf mehr Verständnis treffen können als in Brüssel. Obwohl ich hinzufügen muss, dass ich zum Beispiel mit dem Herrn Präsidenten Juncker ein konstruktives Gespräch geführt habe, auch mit Herrn Präsidenten Tusk, schauen Sie, und mit dem sozialistischen Parlamentspräsidenten Herrn Schulz habe ich eines geführt, wie es eben möglich war.
Stimmen Sie der Behauptung zu, dass es bereits mit der griechischen Krise angefangen hatte, doch vor allem mit dieser Situation seien die Grundlagen Europas in Frage gestellt worden?
Schauen Sie, über die Griechen möchte ich nichts Kritisierendes sagen, weil die Ärmsten haben gerade genug Sorgen und sie sind in eine Falle gelockt worden, aus der ich nicht weiß, wie sie einen Ausweg finden können, weshalb ich aus ganzem Herzen mit dem griechischen Volk solidarisch bin, doch gehört trotzdem zur Wahrheit auch, dass wenn Griechenland seine Verpflichtungen erfüllen würde, die es im Schengen-Vertrag eingegangen ist, denn es ist ja eine der Außengrenzen Europas, dann gäbe es in Ungarn keine Probleme. Unser Frontstaat ist Griechenland, nicht wir sind der Frontstaat, Griechenland ist es. Wir werden deshalb zum Frontstaat, weil Griechenland ganz einfach das Schengen-Abkommen auf die Weise erfüllt, dass es seit 2009, also seit mehr als sechs Jahren ein Verfahren gegen Griechenland läuft, weil es das im Vertrag Festgehaltene nicht erfüllt. Nun, wenn sich jetzt ein jeder so verhalten wird, dann wird natürlich das Schengen-System einstürzen und auch die ganze Europäische Union. Die Europäische Union basiert darauf, dass wir nach langen, schwierigen Diskussionen Entscheidungen fällen, Verantwortung übernehmen, Verpflichtungen auf unsere Schulter laden, und diese danach erfüllen. Wenn dieses Verhalten aufhört, dann hat es keinen Sinn, von einer Europäischen Union zu sprechen.
Die Lage ist doch trotzdem die, dass das, worüber wir uns jetzt unterhalten, im Grunde genommen die Wirkung ist, weil alles in allem die Ursache für das Ganze darin besteht, dass es eine instabile Region gibt – es würde jetzt zu lange dauern, zurückzugehen, warum sie instabil geworden ist, aber – aus der die Menschen nach Europa aufbrechen, und jetzt sollten wir über die Flüchtlinge sprechen, nicht über die Wirtschaftsflüchtlinge.
Dabei sind sie in der Mehrheit. Die Zahl und der Anteil der Wirtschaftsflüchtlinge steigen kontinuierlich an, heute kann man auch noch von einem Flüchtlingsproblem sprechen, doch dies wird in wenigen Momenten der Vergangenheit angehören.
Demnach ist der Kampf gegen den Islamischen Staat nicht ein Teil für die Lösung der Probleme?
Ein Element, aber nicht ihr bestimmender Teil. Es gibt Hundertmillionen Menschen auf der Welt, in Zentralafrika, in bestimmten Teilen Asiens, die nicht in Kriegsgebieten leben, jedoch wenn sie die Nachrichten betrachten, dann werden sie erkennen, dass sie das bessere Leben auf die Weise schneller erreichen, wenn sie nach Europa kommen, als wenn sie Zuhause versuchen würden, zurecht zu kommen, und da die Äußerungen der europäischen politischen Führer in ihren Ohren wie eine Einladung klingen, werden sie sich auf den Weg machen. Wir müssen also mit dem Erscheinen von mehreren Zehnmillionen Menschen an den europäischen Grenzen rechnen, wenn die europäischen politischen Führer dies so weitermachen. Es muss klargestellt werden, dass wir nicht einen jeden hereinlassen können, denn wenn wir alle hereinlassen, dann ist es vorbei mit Europa. Ich sage es noch einmal: Wenn Du reich bist und attraktiv für andere, dann musst du auch stark sein, sonst nehmen sie im Übrigen dir das, wofür du gearbeitet hast, weg, und auch du wirst arm sein. Ich sage es noch einmal: Reich und schwach zu sein ist in der Politik die riskanteste Kombination.
Und als ob die Lage nicht schon ausreichend gespannt wäre, hatte Budapest und die Budapester Polizei in der Nacht auch noch damit zu kämpfen, dass Hooligans randaliert hatten.
Sagen Sie es erst gar nicht. Ich hatte geglaubt, dass sie mehr Verständnis haben würden, und sehen werden, wie die Lage in Ungarn wegen der illegalen Einwanderer ist, und irgendwie würden sie am Vorabend des Länderspiels Ungarn-Rumänien hierauf Rücksicht nehmen. Offensichtlich geben sich nicht nur die europäischen politischen Führer Illusionen hin, sondern manchmal auch ich.
Aber Sie werden am Abend das Spiel sich ansehen. Werden Sie dort sein?
Ich werde den Ball dort von der Tribüne aus zusammen mit zwanzigtausend anderen Ungarn in das Netz blasen.
Soll ich Sie nicht fragen, womit Sie hinsichtlich des Endergebnisses rechnen?
Sie können die Frage stellen, aber ich beantworte die Frage nie. Die Mitglieder der Regierung haben, natürlich wie dies in einer solchen von Männern dominierten Gemeinschaft üblich ist, ein Tortoto veranstaltet und ein jeder hat seine Einsätze gemacht, aber diese sind nicht öffentlich.
Dann werde ich Sie das nächste Mal über das Ergebnis der Wette befragen. Sie hörten in den vergangenen Minuten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.