4. Oktober 2018, Budapest
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrter Herr Akademiepräsident! Sehr geehrte Verschwörer! Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Viele denken vieles über Ungarn. Ich empfinde jene Schule als mir nahestehend, zu der auch Sándor Márai gehörte. Er schrieb einmal, es sei nicht das Wunder, dass Ungarn so ist, wie es ist, sondern das Wunder ist, dass Ungarn ist. Wie wahr! Doch wahr ist auch, dass sich hinter den Wundern manchmal ganz einfache Wahrheiten verstecken. Auch unser Erhaltenbleiben gehört zu dieser Art von Wundern. Und die verblüffend einfache Wahrheit hört sich so an, dass sich das ungarische Volk mit tief hinabreichenden und starken Wurzeln an seinem kulturellen Erbe festhält. Deshalb können auch wir heute hier stehen. Und wir können hinzufügen, dass dieses Wurzelsystem das gesamte Karpatenbecken durchwirkt. Wir, Ungarn, können heute hier, 1.100 Jahre nach unserer Landnahme, aus dem Grunde stehen, da wir wissen, woher wir gekommen sind, und wir wissen auch, was wir den uns vorausgegangenen Generationen schuldig sind. Ja, wir wissen auch, was wir den nach uns Kommenden schuldig sind. Damit auch die nach uns Kommenden das wissen können, was wir wissen, haben wir Folgendes in unser Grundgesetz geschrieben: „Wir verpflichten uns, unser Erbe, unsere einzigartige Sprache, die ungarische Kultur, die Sprache und Kultur der in Ungarn lebenden Nationalitäten, die durch den Menschen geschaffenen und von der Natur gegebenen Werte des Karpatenbeckens zu pflegen und zu bewahren. Wir tragen die Verantwortung für unsere Nachfahren, deshalb beschützen wir die Lebensgrundlagen der folgenden Generationen durch den sorgfältigen Umgang mit unseren materiellen, geistigen und natürlichen Ressourcen. Wir glauben, dass unsere Nationalkultur einen reichhaltigen Beitrag zur Vielfalt der europäischen Einheit darstellt.”
Kodály, Bartók, Lajtha, Illyés, Csoóri, Kallós und ich könnte die Reihe der Namen noch fortsetzen, denen es zu verdanken ist, dass das Ungarntum auch heute auf ein außergewöhnlich reiches kulturelles Erbe stolz sein kann. Und zwei Namen können wir der illustren Liste von Namen noch hinzufügen: den von Ferenc Sebő und jenen von László Kelemen. Noch zur Zeit unserer ersten, langsam schon im Nebel der Vergessenheit dahinschwindenden Regierung entsprang der Gedanke aus ihren Köpfen, dass die ungarische Volkskunst in Budapest ein ständiges Zuhause haben sollte, wo wir diese Tradition sammeln, systematisieren, vorstellen und weitergeben. Wenn schon, dann richtig, dachten wir uns, und mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren konterrevolutionären Keckheit haben wir gerade dieses Gebäude ausgewählt. Auf diese Weise kam das Haus der Traditionen in eines der schönsten eklektischen Gebäude Budapests, in die Budaer Redoute. Danach wurde die nationale Regierung vom Regierungsruder weggetrickst, und es sind zwar die Internationalisten zurückgekommen, jedoch hat der Ort und der Gedanke irgendwie die schwierigen Zeiten überlebt, es wäre vielleicht richtig, an dieser Stelle auch den Namen von Iván Vitányi dankend zu erwähnen. Bis sich dann das Glücksrad erneut gedreht hat oder die Beharrlichkeit ihre wohlverdienten Früchte gebracht hat, dies ist hinsichtlich unserer heutigen Feier auch gleichgültig, aber die nationalen Entsatzungstruppen sind zurückgekehrt, und wir haben aus 7,5 Milliarden Forint das Gebäude innen und außen renoviert und modernisiert. Wir haben die Vorhalle wiederhergestellt, das Prunktreppenhaus und auch den Festsaal, damit die Budaer Redoute erneut eines der Hauptquartiere der ungarischen Kultur sein kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister! Sehr geehrter Herr Generaldirektor!
Die Zukunft eines Landes wird nicht nur durch seine Wirtschaft, seine militärische Schlagkraft und seinen politischen Einfluss begründet, sondern auch durch seine kulturelle Leistung. Um auf den Gedankengang von Márai zurückzukehren: Die kulturelle Tradition, deren tiefste Schicht die Volkskunst darstellt, sind wir selbst mit Haut und Haaren. Unsere Kultur zeigt, wer wir waren und wer wir sind. Das ist die Fassung und die Gussform unserer Identität. Eine Kraft, die die Bewohner des Landes zur Nation, die Mitglieder der Nation zu einer Gemeinschaft schweißt. Der jetzt in Entstehung befindliche nationale Grundlehrplan und zusammen mit ihm auch das gesamte ungarische Schulsystem müssen auf dieser Basis stehen. Von hier aus gesehen stellt jeder für Kultur ausgegebene Forint eine Investition in die Zukunft dar, eine ungarische und christliche, das heißt in eine europäische Zukunft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Manchmal höre ich, in Ungarn würde ein Kulturkampf toben. Ich vermute, dass die Rangeleien zwischen den einzelnen Positionen, die Zeitungsdebatten zwischen den Kulturphilosophien vielleicht zu der gewohnten Ordnung des modernen Lebens gehören. In Ungarn herrscht vielmehr ein Kulturfrieden. Langsam bildet sich eine vollkommene Übereinstimmung in der Hinsicht heraus, dass wir unsere Zukunft auf die Familie, die Arbeit und die Wiedervereinigung der Nation aufbauen müssen. Einen Kulturkampf gibt es nicht in Ungarn, sondern in Europa. In Europa durchleben wir tatsächlich Zeiten des Kulturkampfes, und dieser europäische Kulturkampf ist – wie ich das sehe – in Wirklichkeit ein Kampf für unsere eigene Kultur.
Sehr geehrte Anwesende!
Wir wissen, dass aus unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Gesellschaften, Werte, Gesetze und politische Einrichtungen hervorwachsen. Manchmal auch derartige, die mit dem Denken des europäischen Menschen unvereinbar sind. Wir, Europäer, respektieren die anderen Kulturen und deren Vertreter, jedoch kann uns niemand dazu verpflichten, dass dieser Respekt die Aufgabe unserer eigenen Kultur und die Unterwerfung unter eine andere Kultur bedeuten soll. Wir wollen auf unserem Boden und – dies gilt sowohl für Europa als auch für Ungarn – entsprechend den Regeln und den Werten unserer eigenen Kultur leben. Wenn die historisch-kulturellen Grundlagen verschwinden, wenn wir es zulassen, dass der kulturelle Bodensatz ausgetauscht wird, dann wird Europa wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen. Wir, Ungarn, haben so etwas schon gesehen, deshalb verspüren wir auch diese Gefahr. Deshalb treten wir auf die sanfte, jedoch unerschütterliche Weise der Ungarn hervor und sagen, wer wir sind, was wir über Gott, die Heimat, die Familie denken. Und wir sagen auch, was laut den Ungarn aus all dem für das europäische Leben folgt. Jetzt ist die Zeit hierfür gekommen. Wenn wir dies nicht tun, dann werden wir die Opfer einer schleichenden gesamteuropäischen kulturellen Selbstaufgabe. Wir glauben daran, dass es nicht dem Zufall zu verdanken ist, dass wir Ungarn und Christen sind, und es auch keinen Zufall darstellt, dass wir gerade hier im Karpatenbecken leben. Wir sehen die Vorbestimmung darin, und wir sind stolz auf unsere zivilisatorische Leistung, unsere Kultur, so auch stolz auf unsere Lieder und auch unsere Tänze. Die ungarische Volkskultur ist für uns nicht eine Sammlung musealer Dinge, sondern eine erhaltende Kraft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Deshalb haben wir das Nationaltheater und den Palast der Künste errichtet, deshalb haben wir die Musikakademie, die Pester Redoute, das Erkel Theater, die Ungarische Reitschule, den Tattersall, den Kossuth Platz renoviert. Aus diesem Grunde werden wir bald das Museum der Schönen Künste übergeben, die Renovierung der Oper, der Bau des neuen Verkehrsmuseums, das Stadtwald-Programm schreiten mit Riesenschritten voran, und die Budaer Burg wird neugeboren. Landesweit werden die Theater, die Hauptplätze und die Kirchen erneuert.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Man hat in Ungarn viel darüber diskutiert, wer ein Ungar sei. Es gibt Meinungen, nach denen jener, dessen Großeltern Ungarn waren. Das ist eine gefällige Antwort, doch geben der Zeitgeist, den wir ausgebildet haben, die Entwicklung, die wir gestartet haben, der Aufbau des Landes und die Vereinigung der Nation, die wir begonnen haben, die Gesinnung, die uns mit sich gerissen hat, auch eine neue Antwort auf die alte Frage: Wer ist Ungar? Meine Freunde, Ungar ist der, dessen Enkel auch ein Ungar sein wird. Die Mission dieses Hauses ist es, uns dazu zu verhelfen, dass auch unsere Enkel Ungarn sein werden können. Möge dieser Ort das Hauptquartier der ungarischen Volkskultur sein. Möge dies der Ort sein, an dem man die Art und Weise ersinnt sowie die Wege dafür findet, wie wir die Werte unserer Volkskunst zu den ungarischen Jugendlichen bringen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Abschließend möchte ich all jenen meinen Dank aussprechen, die an der Erneuerung dieses herrlichen Gebäudes teilgenommen haben. Die Budaer Redoute hat heute ihren alten Glanz zurückgewonnen, und ich wünsche ihr, dass sie diesen noch über lange Jahrhunderte hinweg bewahren möge. Sie soll unseren Enkeln die Lust, die Begeisterung und den Stolz dazu geben, dass sie, hier stehend, auch sagen können: Es soll so sein, wie es früher war!
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!