14. September 2015

Csaba Azurák: Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen, dass Sie unsere Einladung angenommen haben. Beginnen wir vielleicht mit dem Aktuellsten: Wird am Dienstag der durch die massenhafte Einwanderung verursachte Krisenfall ausgerufen?

 

Die neue rechtliche Situation tritt am Dienstagmorgen bzw. um null Uhr in Kraft, es wird neue Paragraphen im Strafgesetzbuch geben. Auf Grund dessen hat die Regierung da Recht, den Krisenfall zu verkünden. Dies werden wir auf der für den Dienstag anberaumten Regierungssitzung diskutieren, dort werden wir eine Entscheidung fällen. Wenn Sie wetten, dann sollten Sie eher auf das Ja setzen, als auf das Nein.

Bald wird, wie das, nicht wahr, in der Kommunikation der Regierung früher formuliert worden ist, und wie Sie das auch erwähnt haben, in der Angelegenheit der Flüchtlingskrise eine neue Zeitrechnung beginnen. Bevor wir über die Details dessen sprechen würden, verraten Sie uns bitte, ob Sie mit gewalttätigen Massenszenen an der ungarischen Grenze rechnen?

Wir wissen nicht, was geschehen wird. Wir sind auf alles vorbereitet, sowohl auf die einfachen Situationen als auch auf die komplizierten Situationen. An der Grenze steht ein Zaun, der einem jeden anzeigt, wo die ungarische Grenze verläuft, deren Überschreiten oder schon allein der Versuch hierzu an einem nicht hierfür festgelegten Punkt, als Straftat gilt, und wenn jemand diese Straftat begeht, dann wird die Polizei auch die Beachtung des Gesetzes erzwingen, das heißt die Betroffenen werden verhaftet und danach einem entsprechenden, korrekten juristischen Verfahren unterworfen. Hierauf stehen mehrere Jahre Gefängnis bzw. die Ausweisung aus Ungarn.

Auf dieses Letztere wäre ich neugierig, worauf konkret der Einwanderer oder illegale Einwanderer trifft, der nach Mitternacht an der ungarischen Grenze ankommt? Früher war ja die Rede davon, dass es in Richtung Ungarn geschlossene, U-förmige Transitzonen geben würde, dann hat sich der Standpunkt der Regierung modifiziert und man sprach über Sachbearbeitungspunkte. Also wenn nach Mitternacht ein von Serbien her kommender Einwanderer am Zaun ankommt, was wird er sehen?

Nun, zuerst wird er Schilder sehen. Wir haben, nicht wahr, jedem – uns selbst hier mitgezählt – eine Vorbereitungszeit von mehreren Tagen gelassen darauf, dass hier eine neue rechtliche Situation entsteht. Dies ist für alle neu. Auch für die Polizei, auch für die Gerichte. Also, es wird Schilder an der Grenze geben, die deutlich anzeigen, dass wenn jemand unter Beachtung des Gesetzes nach Ungarn kommen möchte, er in welche Richtung gehen und was er tun soll, denn wir schließen die Grenzen nicht hermetisch ab, sondern erzwingen einfach die Einhaltung jener Gesetze, die auch schon bisher gültig waren. Also – nur damit wir nicht um den heißen Brei herumreden –, die Situation ist die, dass auch bisher die ungarische Grenze nirgendwo anders als an den Grenzübertrittspunkten hätte überquert werden dürfen, dies war auch bisher kein das Gesetz respektierendes Verhalten, es galt als Ordnungswidrigkeit, jedoch war dies eine Strafe von derart geringem Gewicht, die von kaum jemand ernst genommen wurde. Hinzu kommt noch, dass die Sache so war, als hätten wir einen Strich in den Staub gezogen und gesagt, das hier ist die Grenze, die kann man nicht übertreten, weil es keine Grenzbefestigung gab. Jetzt gibt es sie. Also werden wir diese Schilder anbringen. Wer ankommt, sagen wir ein Einwanderer, der kann die Pfeile sehen, er weiß, wohin er gehen muss, und er muss sich zu diesen Punkten bequemen, wo es Sachbearbeitungsfenster geben wird, wo er seine Dokumente einreichen kann, wo er sagen kann, was er möchte.

Innerhalb welcher Frist wird über den Asylantrag entschieden?

Hierfür gibt es eine Praxis, das geht auch heute ziemlich schnell. Nachdem die ungarische Regierung Serbien als ein sicheres Land ansieht, noch genauer: Es ist die Entscheidung der ungarischen Regierung, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union sowie jedes Land, das als Beitrittskandidat in der Union akzeptiert worden ist – Serbien ist ein Beitrittskandidat –, hieraus folgend von Vornherein als sicher gelten muss, denn wenn ein Land kein sicheres Land ist, wie könnte es Mitglied der Europäischen Union sein? Diese Logik anwendend haben wir dies in einem Regierungserlass auch ausgesprochen. Dieser Erlass muss an der Grenze angewandt werden. Wenn in solch einem Fall, jemand von sich behauptet, er sei ein Flüchtling, dann wird er gefragt, ob er in Serbien seinen Asylantrag gestellt hat, und wenn er ihn nicht eingereicht hat, dann wird er, da Serbien ein sicheres Land ist, abgewiesen werden.

Mit welcher Rate, obwohl ich weiß, dass es keine gute Antwort auf diese Frage gibt, an Abschiebungen oder Abweisungen rechnen Sie übrigens?

Mit einer hohen.

Heißt das über neunzig Prozent?

Schauen Sie, das hängt davon ab…, das werden nicht wir entscheiden, sondern jene, die hierher kommen.

Nein, jedoch gibt es schon Erfahrungen, deshalb frage ich.

Unsere Erfahrung ist, dass jene, die hier ankommen, im Allgemeinen ihren Asylantrag in Serbien nicht eingereicht haben, dabei hätten sie ihn einreichen müssen. Nur sind sie in solch einer Masse gekommen, und es gab keine Möglichkeit, unsere Grenzen zu schließen, weil es keinen Zaun gab, weil wir den ungarischen Regelungen keine Geltung verschaffen konnten. Unter uns sei aber so viel gesagt: Es ist eine ziemlich absurde Sache und der Umstand wirft kein allzu gutes Licht auf einen tausend Jahre alten Staat, dass er seine eigenen Rechtsvorschriften nicht durchsetzen kann, ganz einfach wegen eines physischen Grundes, und weil zu viele kommen. In so einer Situation muss dies auf irgendeine Weise gelöst werden, so wie das jetzt auch die Deutschen und auch die Österreicher zu lösen versuchen. Wir sind vielleicht etwas früher erwacht, deshalb sind wir weiter. Sie können tatsächlich erst nur ihre Grenzübertrittspunkte kontrollieren, wir sind bereits zur Kontrolle der grünen Grenze in der Lage, in dieser Hinsicht ist Ungarn vielleicht weiter.

Auf die österreichischen und deutschen Reaktionen werden wir noch zurückkommen. Vorher aber noch ein bisschen darüber, dass, nicht wahr, beinahe fünftausend Soldaten jetzt schon mehr oder weniger sich entlang der Grenze befinden, um die Arbeit der Polizei zu unterstützen. Welche Befugnisse besitzen sie? Vor allem nach dem 21.-en, wenn, nicht wahr, auch eine Zweidrittelmehrheit für ihren – in Anführungszeichen – „Einsatz“ notwendig ist. Über welche Befugnisse verfügen sie also? Man kann sehr viele Szenarien lesen, jedoch haben sie, nicht wahr, bereits früher eindeutig gemacht, dass es zum Beispiel keinen Schießbefehl geben wird.

Die Situation ist die, dass wir heute die Armee für unmittelbare Aufgaben des Grenzschutzes nicht einsetzen dürfen, weil die Opposition unseren diesbezüglichen Vorschlag nicht unterstützt hat. Also um diese Völkerwanderung der Moderne bremsen und auch die Hilfe der Soldaten in Anspruch nehmen zu können, muss das entsprechende Gesetz, das im Parlament einer Zweidrittelmehrheit bedarf, verändert werden. Hierzu hat die Opposition ihre Zustimmung versagt, sie hat auf eine Weise manövriert, dass wir einen Zeitverlust von zwei Wochen erlitten haben. Irgendwann gegen Ende September wird das Parlament in der Lage sein, die notwendige Gesetzesänderung vorzunehmen, und dann wird diese Frage auch keine Frage mehr sein, doch jetzt ist sie es noch. Also ist es jetzt noch eine berechtigte Frage, was auf Grundlage der gültigen Rechtsvorschriften die Armee machen darf. Dies pflegt man auf die Weise… Dies ist übrigens eine schöne juristische Debatte, jetzt gibt es auch schon viel Literatur dazu. Ich denke, dies haben die Juristen von allen Seiten beleuchtet. Dies ist die Situation, dass sie die Arbeit der Polizei unterstützen kann. Dies ist, was sie tun kann.

Wenn wir schon beim Militär sind, ein Einwurf, und offensichtlich gehört zu den vergangenen Tagen der Abschied von Csaba Hende dazu. Sind jene Berichte, die in der Presse erschienen sind, wahr, dass er seinen Rücktritt aus dem Grunde eingereicht hat, weil man nicht damit zufrieden war, in welchem Tempo der Zaun oder die Grenzsperre errichtet wurde?

Schauen Sie, es gibt eine schlechte ungarische Angewohnheit, die – ich glaube auch bei – Mikszáth anzutreffen ist, wir können Novellen und Skizzen hierüber lesen. Wenn einem Ungarn gesagt wird, die Frist beträgt dreißig Tage, dann wird er am dreißigsten Tag fertig, jedoch bedeutet dies, dass das der späteste Zeitpunkt ist. Man kann in einem Amt eine Angelegenheit innerhalb von drei Tagen und auch innerhalb von vier Tagen erledigen, das kann niemand verbieten. Und wenn wir um unser Leben rennen, wenn es darum geht, dass wir tatsächlich der Rechtsordnung Ungarns Geltung verschaffen wollen, dann kann man etwas nicht fristgerecht vollstrecken, wenn dies im Übrigen auch früher möglich wäre. In diesem Sinne lastet auf dem Minister keine Verantwortung, denn er hätte die Arbeit zur vorgegebenen Frist vollendet, doch ich hätte gerne einen viel schnelleren Fortschritt sehen wollen, und so musste ich dann seinen Rücktritt annehmen.

Auch Sie haben jene zu erwartende Erscheinung erwähnt, dass zahlreiche, vermutlich mehrere zehntausend Flüchtlinge sich, nicht wahr, von Mitternacht an auf der serbischen Seite der Grenze aufstauen können.

Das sollten wir nicht ausschließen, jedoch habe ich dies nicht gesagt, denn es kann auch das Gegenteil hiervon eintreten. Das kann heute niemand genau sagen. Dies ist ein Geschäft, also während alle über Einwanderer und das Asylrecht und über Kriegsgebiete reden, hört man sehr wenig darüber, dass dies ein Geschäft ist. Und zwar ein beträchtliches Geschäft. Hinzu kommt meiner Ansicht nach noch, dass in mehreren Ländern nicht einmal irgendeine Verbindung zwischen den Behörden und den Menschenschleppern ausgeschlossen werden kann. Und dies ist ein organisiertes Geschäft. Nun, wer das Geschäft organisiert, der verliert nicht gerne. Und jetzt scheint es aber so zu sein, dass wer die Menschen an die ungarische Grenze schleppen will, der wird als Menschenschlepper nie zu seinem Geld kommen, weil sie nicht weiter zu der ausgehandelten Endstation, also nach Deutschland, kommen können. Also müssen die Schlepper selbst eine andere Route finden, wenn sie die „Bestellung” erfüllen wollen. Dies wird dann das Problem aufwerfen, was mit Kroatien und Slowenien sein wird, aber ich hoffe, dass es auch dort Regierungen gibt, die in der Lage sind, Entscheidungen zu fällen.

Ich wollte nur darauf hinweisen, dass wenn die ungarisch–serbische Grenze ab heute Mitternacht geschlossen wird, viel enger geschlossen, als diese Grenze bisher geschlossen war, dann haben wir, nicht wahr, das Problem nicht gelöst, sie müssen nur eine neue Route finden, oder wird lenken die Flut der Flüchtlinge auf eine neue Route.

Drei Probleme haben wir aber gelöst. Wir haben die europäischen Regeln eingehalten, haben der ungarischen Rechtsordnung Gültigkeit verschafft und haben die ungarischen Interessen verteidigt. Das ist nicht wenig.

Ich habe nicht an dieses Problem gedacht, sondern an den Flüchtlingsstrom, also dass diese Menschen auf dem Weg nach Deutschland Ungarn – wie Sie das auch erwähnt haben – umgehend dorthin gehen werden.

Jedes Land muss seine eigenen Probleme lösen, ein jeder der den Schengener genannten Vertrag unterzeichnet hat, hat die Aufgabe übernommen – das steht drin im Vertrag, wir sind hierüber übereingekommen –, seine eigenen Außengrenzen aus eigener Kraft zu verteidigen. Wenn also Ungarn im vergangenen Zeitraum aus dem Grunde getadelt worden wäre, weil es nicht in der Lage war, dem Schengen-Abkommen Geltung zu verschaffen, dann wäre dies zu Recht geschehen. Als wir aber gescholten wurden, weil wir das durchsetzen wollten, worin wir gemeinsam übereingekommen sind, war das unfair und ungerecht. In Wirklichkeit muss man hier an erster Stelle Griechenland erwähnen, denn wenn Griechenland das erfüllen würde, worüber wir übereingekommen sind – denn es ist aus der Richtung ja das erste Land der Europäischen Union –, wenn es erfüllen würde, was es müsste, dann hätten wir an der serbisch-ungarischen Grenze überhaupt keine Sorgen, die Österreicher hätten keine Sorgen und auch die Deutschen nicht.

Wie viel hat bisher den ungarischen Staat das Transportieren, die Verpflegung, die Registrierung der vorübergehenden Einwanderer gekostet? Und wie viel Geld hat die EU hierzu gegeben? Nur damit wir die Verhältnisse sehen.

Die Gesamtsumme, die wir bis jetzt ausgegeben haben, beträgt so etwa an die 30 Milliarden Forint, und wir werden im Großen und Ganzen noch einmal so viel Ausgaben haben, damit rechnen wir für den restlichen Zeitraum. Das bedeutet, dass wir über etwa 200 Millionen Euro sprechen. Und die Union hat uns einige Millionen Euro gegeben. Zwischen den beiden Summen besteht also ein himmelweiter Unterschied.

Herr Ministerpräsident, vor kaum 24 Stunden hat die österreichische Regierung eine Krisensitzung abgehalten, nachdem die Deutschen die Wiedereinführung der Grenzkontrollen angekündigt hatten. Die Slowakei und Tschechien erwägen das Gleiche. Gut, es mag sein, von der ersteren hat die ungarische Regierung heftige Kritik erhalten, als sie Maßnahmen in diese Richtung einzuführen versuchte. Welche Auswirkungen haben die deutsche und die österreichische Entscheidung für Ungarn?

Jetzt könnte man natürlich sich darüber amüsieren, dass die Österreicher jetzt so etwas tun, wofür sie zuvor Ungarn ständig kritisiert hatten, aber ich glaube, jetzt ist nicht der Zeitpunkt hierfür. Wir müssen also nicht unsere Genugtuung zum Ausdruck bringen und auch nicht über unsere eigene Rolle, die meiner Ansicht nach eine positive ist, reden. Es geht nicht hierum, jetzt ist nicht die Zeit hierfür, in den Analysen wird man hierauf zurückkehren können. Jetzt gibt es eine Notlage, eine Herausforderung, eine außergewöhnliche Situation, diese muss gelöst werden. Diese können wir gemeinsam besser lösen als jeweils allein, deshalb freue ich mich, wenn die Schärfe und die antiungarische Tendenz der Meinungen des österreichischen Bundeskanzlers und der österreichischen Regierung verschwinden, und wir endlich vernünftig zusammenarbeiten können.

Haben Sie vor dem Interview in meine Fragen hineingelesen?

Nein.

Die nächste wäre die, ob Sie Genugtuung über die Veränderung des österreichischen und deutschen Standpunktes verspüren? Aber überspringen wir dann diese Frage.

Ich habe nicht gesagt, dass ich sie nicht verspüre, sondern, dass jetzt nicht die Zeit dafür ist.

Es ist nicht die Zeit dafür, um darüber zu reden. Okay. In dem Interview, das sie am Wochenende der deutschen Bild-Zeitung gegeben hatten, formulierten sie dahingehend, dass die führenden europäischen Politiker im Augenblick in einer Traumwelt leben und keine Ahnung von den Gefahren haben. Das vorhin erwähnte und worüber wir gesprochen haben, die österreichisch-deutsche Reaktion auf den jetzigen Schock, weil meiner Ansicht nach können wir dies ruhig so nennen, bedeutet dies, dass jetzt die führenden europäischen Politiker, die führenden westeuropäischen Politiker beginnen, aus dieser Traumwelt zu erwachen?

Hoffen wir’s. Dies werden dann die nächsten Tage entscheiden. Sicher ist, dass das Volk die Veränderung erzwungen hat. Also was ich angesichts der raschen Änderung der Regierungspositionen davon, was in Westeuropa geschieht, verstehen kann, ist vor allem, dass es doch eine Demokratie ist, der Boden Europas eine Demokratie ist, dies ist eine demokratische politische Welt. Letztlich kann man hier nicht über einen längeren Zeitraum hinweg und ohne entsprechende Argumente über einen längeren Zeitraum gegen den Willen der Menschen regieren. Denn über einen kurzen Zeitraum und mit entsprechenden Argumenten geht das, aber über lange Zeit und ohne Argumente ist dies doch sehr schwer. Und es ist die alltägliche Erfahrung der Menschen in Westeuropa und auch in Mitteleuropa, auch in unserer Welt ist es diese, dass sie unsicher sind, dass es Ängste gibt, dass sie nicht verstehen, was passiert, und sie haben ein Gefühl – darüber muss man später auch sprechen –, ich bringe es aber, wenn es möglich ist, immer zur Sprache, sie haben das Gefühl, dass ihre Lebensweise in Gefahr ist. Es gibt also natürlich auch Kriminalität, da sollten wir keine Illusionen haben, es gibt auch eine Zunahme der Terrorbedrohung, auch hierüber sollten wir keine Illusionen haben, es gibt auch das Problem des Schmarotzertums, denn nicht ein jeder wird zu einem fleißigen Arbeitnehmer von denen, die kommen, also gibt es auch einen Druck auf die Sozialsysteme, doch die wirkliche Angst ist letztlich doch – für mich ist dies zumindest der hauptsächliche Gesichtspunkt –, dass unsere Lebensweise herausgefordert wird. Weil wir sehen, dass dort, wo eine große Gemeinschaft von aus dieser Region Kommenden, sagen wir aus dem islamischen Raum Kommenden lebt, dort sind – wie das die deutsche Bundeskanzlerin gesagt hat – Parallelgesellschaften entstanden. Also führt uns die Erfahrung – und nicht die Theorie und die Philosophie sowie die liberalen Märchen – jene Tatsache vor Augen, dass wenn diese Gemeinschaften in Europa ankommen, sie dann die ihrer eigenen Religion, eigenen Kultur, eigenen Lebensweise entsprechende Gesellschaft errichten, die parallel existiert. Der Nachschub ist beinahe unbegrenzt, denn wir sehen ja, wie viele kommen, und angesichts der demographischen Zahlen kann man sehen, dass diese Gemeinschaften viel mehr Kinder auf die Welt bringen als unsere eine traditionelle, europäische, christliche Lebensweise befolgenden Gemeinschaften. Und dies projiziert auf Grundlage mathematischer Berechnung ein Europa voraus, in dem unsere Lebensweise in die Minderheit gedrängt wird, oder zumindest sich einer sehr ernsthaften Herausforderung gegenüber findet, so dass wir in Wirklichkeit unsere Lebensweise verteidigen. Denn Europa ist doch trotzdem eine Region, in der wir aufeinander aufpassen, wo wir einander respektieren, und in der wir für die Ruhe und die Sicherheit arbeiten. Dies ist eine ruhige und sichere Welt, doch ist sie nicht von selbst so geworden, wir haben dafür gearbeitet, und hierum haben wir nun Angst.

Was Sie als Angst erleben oder formulieren, das wird, nicht wahr, in den Kritiken, wenn wir die internationale Kritik, aber auch die inländische lesen, dann geht es in ihnen darum, wenn ich das im Großen und Ganzen gut zusammenfassen kann, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, der vor 25 Jahren den Eisernen Vorhang abbaute, jetzt an der Südgrenze einen Zaun baut. Und dann habe ich noch gar nicht über die – wie dies der Journalist der Bild-Zeitung formulierte – verschiedenen Kommentare gesprochen, und, verzeihen Sie, aber ich zitiere jetzt wörtlich, man hat Sie als den „Oberschurken Europas“ tituliert, oder dass der österreichische Kanzler die ungarische Regierung der Methoden beschuldigt hat, die an die Nazizeit erinnern, oder dass ich auf die ausländischen und inländischen Titelblätter verweise, die Sie mit einem Hitlerschnurrbart zeigten. Wie haben Sie persönlich diese Angriffe erlebt? Was sagen Sie dazu?

Zuerst sollten wir in der Frage des Zaunes feststellen, dass der Eiserne Vorhang, der während der sowjetischen Besatzung des Landes errichtet worden war, gegen uns erbaut wurde, um uns unsere Freiheit zu nehmen. Was wir jetzt bauen, dass bauen wir im Interesse der Verteidigung unserer selbst, der Verteidigung der Freiheit, der Verteidigung unserer eigenen Freiheit und Lebensweise. Das eine ist Heu, das andere ist Stroh, hier sehe ich weder ein emotionales noch ein intellektuelles Problem. Die andere Frage ist schwieriger. Schauen Sie, auch ich bin auch nur ein Mensch, auch wenn das nicht zählt, oder dies am wenigsten zählt. Niemand bleibt davon unberührt, und ich nehme an, meine Mutter auch nicht, dass sich für angesehen haltende Blätter ihren Sohn als irgendeinen Schurken beschimpfen, und auch ich, wie soll ich es sagen, bin nicht gleichgültig hierfür. Doch das Gewicht hiervon ist sehr gering im Vergleich zu dem, dass der Mensch einen Schwur auf die Verfassung abgelegt hat, geschworen hat, das Land zu verteidigen. Und schließlich, wenn ich es zulassen würde, dass ich unter die Wirkung von Fotos, journalistischer Meinungen sowie auch noch unter solcher geschmackloser Angriffe gerate, wer wird dann hier mit kühlem Kopf, ruhig, im richtigen Moment gut entscheiden? Ich muss also sagen, auch wenn ich nur ein Mensch bin, so kann ich mir den Luxus nicht erlauben, mich durch diese Meinungen beeinflussen zu lassen, denn dann kann ich meine Pflicht nicht erfüllen. Meine Arbeit ist keine leichte, darüber pflegen wir nicht zu sprechen, es geht auch niemanden was an. Wie die Volksweisheit es sagt: Wer Angst hat, der soll nicht in den Wald gehen. Jedoch ist es sehr wichtig, dass der Mensch sich ständig in einem nüchternen, ruhigen, entscheidungsfähigen Zustand hält, je größer das Problem ist, umso mehr.

Wenn wir noch einen Aspekt des Großteils der kritischen Stimmen betrachten, die sich auf die Regierung und Sie bezogen, so bemängelten diese, nicht wahr, die Solidarität, die Humanität, und ich glaube, die eine, in diesem Themenkreis, im Zusammenhang mit der Angelegenheit der Flüchtlinge, der Einwanderungsproblematik am schwersten zu beantwortende Frage ist die, ob die politische Rationalität, jene Argumente, die Sie vorbringen, über dieses, sagen wir mal, gute Gefühl gestellt werden darf? Auch Sie haben sich am Wochenende geäußert, nicht wahr, und Sie haben gesagt, das Foto des ertrunkenen kleinen Flüchtlingsjungen, das wir gesehen haben, sei erschütternd. Sie haben auch gesagt, Sie würden aufnehmen...

Über das sich natürlich herausgestellt hat...

Dass er ein Menschenschlepper war...

Der Vater ist ein Menschenschlepper, und ist ohne weiteres die nächste Fuhre abholen gegangen. Soviel über die Zuverlässigkeit der Medienwelt.

Ja, aber das Foto...

Ihr Interview selbstverständlich ausgenommen, das stellt eine Ausnahme dar.

Also, ob so oder auch unabhängig davon jenes Bild erschütternd ist.

Schauen Sie, es gibt hier tatsächlich ein Problem, wie wir die Angelegenheit gleichzeitig human und zugleich auf rationaler Grundlage unseren Interessen entsprechend behandeln sollen, und die Frage ist, ob diese beiden Dinge miteinander im Widerspruch stehen.

Verzeihen Sie, und eine einzige Frage oder Beendigung dieses Satzes, dass auch Sie geäußert hatten, ja, Sie würden Flüchtlinge in Ihr Haus aufnehmen, trotzdem geben die Entscheidungen der Behandlung der Flüchtlingsfrage doch eine andere Richtung vor. Warum?

Weil ich festgestellt habe, dass ein Großteil der hier ankommenden Menschen, keine Flüchtlinge sind. Unsere emotional schwierige Lage entspringt daraus, nicht wahr, dass wir in einer besseren, bequemeren und ruhigeren Welt leben als jene, aus der sie kommen, und es existiert in den um ein besseres Lebensniveau bittenden Menschen immer irgendeine innere Spannung, irgendein Problem, das sie mit sich selbst ausmachen müssen, warum es so ist, dass ich besser lebe und der andere schlechter lebt. Doch ist das eine sehr wichtige Sache, dass die Europäer das Selbstvertrauen haben sollten, zu sagen, dass, zum Beispiel in Ungarn all das, was wir haben, wir dafür gearbeitet haben. Wir haben mehr für dieses Lebensniveau gearbeitet als viele europäische Länder, es war nicht einfach: Weltkriege, Kommunismus, Systemwechsel, Wirtschaftskrise, hier gab es alles, also haben wir das, was wir jetzt hier haben, nicht von anderen weggenommen, haben es nicht geschenkt bekommen, sondern haben dafür gearbeitet. Es ist wichtig zu wissen, dass nicht jeder derart für das von ihm erwartete, erwünschte Lebensniveau zu arbeiten pflegt, wie wir Ungarn. Und es gibt solche, die weniger arbeiten, und in diesen Fällen ist jene Ordnung der Welt nicht ungerecht, dass wer mehr arbeitet, der auch bessere Verhältnisse, ruhigere und sicherere Bedingungen für sich erschaffen kann. Hier beeinträchtigt sehr stark der Krieg das Bild, denn schließlich sind ja hier viele Menschen, die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, aber auch in diesem Fall müssen wir meiner Ansicht nach die Regel anwenden, dass diese Menschen ein Recht darauf haben, dass ihre Menschenwürde respektiert wird und sie an einem sicheren Ort leben können, und sie auch berechtigt sind, eines Tages in jene Länder zurückzukehren, die sie wegen der Kriege haben verlassen müssen. Dies können sie am ehesten tun, wenn sie in der Region bleiben, deshalb müssen wir Jordanien, den Libanon oder eben die Türkei unterstützen. Dort befinden sich jene Flüchtlingslager, aus denen man nach dem Krieg zurückkehren kann. Diese Flüchtlingslager bieten den Menschen überhaupt kein gutes Leben, doch sind dies sichere Orte, dort sind sie nicht mehr in Gefahr. Ja vielmehr bleiben diese Menschen, die hier durch Ungarn hindurch rennen, durch Ungarn hindurchstampfen, auch nicht in Österreich stehen, diese Menschen sind nicht im Interesse ihrer Sicherheit gekommen, sie rennen nicht um ihr Leben. Wem das serbische Lebensniveau nicht gefällt, wem weder das ungarische Lebensniveau zusagt noch das österreichische, der hat nicht die Sicherheit vor Augen, sondern das Lebensniveau. Der will ein deutsches Leben führen, was ich im Übrigen verstehen kann, wie ich ja gesagt habe, ein unter besseren Lebensbedingungen lebender Mensch muss verstehen, dass der andere auch so etwas möchte, wie wir haben. Doch wir haben dafür gearbeitet, das möchte ich noch einmal klarstellen, und niemand kann von uns erwarten, dass wir das, wofür wir gearbeitet haben, mit Menschen teilen sollen, die nicht mehr in einer Zwangslage, nicht mehr in Lebensgefahr sind. Das erwarten sie zu Recht, dass wir gemessen an unseren Möglichkeiten ihnen dabei helfen, damit in diese Länder Kapital kommt, dass die Europäische Union Geld schickt. Das Leben soll auch dort den dort Lebenden eine Möglichkeit geben, denn eine Chance steht allen zu, auch einem Syrer, aber das ist nicht identisch damit, dass ich hierher komme und den Europäern etwas wegzunehmen versuche, wofür diese gearbeitet haben. Überhaupt denke ich, es wäre gut, wenn wir statt den Wendungen „das steht mir zu” und „fordere” aus dem Mund der Einwanderer häufiger die Ausdrücke „bitte” und „danke” hören würden.

Auch ich nenne zwei Ausdrücke: „schicksalswendend”, „historisch”. Diese haben auch Sie in den vergangenen Wochen recht häufig in Ihren verschiedenen Interviews, Erklärungen zur Beschreibung all dessen gebraucht, was jetzt passiert. Erheben wir uns ein bisschen über die Welt der Tagensnachrichten und fügen die Flüchtlingsfrage in einen weiteren Kontext ein. Ich glaube, sehr viele Menschen fragen sich, was passiert um uns herum, und vor allem, warum?

Das muss ein sehr kluger Mensch sein, der die Beantwortung dieser Frage auf sich nimmt. Ich tue dies nicht, ich füge nur etwas Ihrer Frage oder den möglichen Antworten hinzu. Also ich habe schon viele schwierige und komplizierte Situationen in der internationalen Politik gesehen, ich habe gelernt, dass der Mensch zwar immer das gleiche denkt, dass sich hinter den Dingen eine endgültige Erklärung verbirgt, und diese müsste man finden, und dann würden wir diese komplizierte Situation verstehen, jedoch ist es im Allgemeinen nicht so, sondern viel eher liegt die Sache so, dass etwas geschieht, damit verbindet sich ein weiterer Gesichtspunkt, ein anderes Interesse, eine dritte Überlegung, ein viertes geschäftliches Interesse, und am Ende wird aus der auf einen Faktor zurückführbaren Angelegenheit ein Problem, das vielfach verwurzelt ist. Es ist meine Überzeugung, dass selbst wenn es den politischen Willen gibt, diese Menschen aus dieser Region zu vertreiben – meiner Ansicht nach gibt es diese Absicht –, wenn es die Absicht gibt, ihnen Geld zu geben, nur damit sie nach Europa kommen – und meiner Ansicht nach gibt es diese Absicht –, ist dies an sich keine Erklärung. Es ist eine zumindest ebenso große Erklärung, dass sich, im Laufe eines einzigen Moments das Geschäft witternd, viele zehntausende Menschen hieran angehängt haben: Taxifahrer, Menschenschlepper… Ich war bei der Grenze, ich habe die Polizisten gefragt, was sich auf der anderen Seite des Zauns abspielt, wer den Draht zerschneidet, wie er ihn zerschneidet, wie viel Geld er dafür erhält? Hier haben also viele zehntausend Menschen plötzlich die Möglichkeit gesehen, zu Geld zu kommen, so dass die Politik, die böse Absicht sowie die alltägliche Geschäfts- und Taschenlogik sich hier einander verstärkend addieren, und mit einer derartigen Kraft diese Menschenmassen aufbringen, dass man dies nur mit einer entschlossenen Politik aufhalten kann. Sicherlich werden auch nuanciertere Analysen als diese im Späteren notwendig sein, jedoch würde ich davor warnen, zu glauben, es gäbe einen Faktor, den man benennen könnte. Die zivilen Organisationen organisieren sich auch noch dazu. Hier in Ungarn hat sich, nicht wahr, ein Großteil der von der Soros Stiftung unterstützten zivilen Organisationen eingebracht, sie alle fordern von der Regierung, dass sie die Grenze geöffnet lassen soll, also ich denke, sehr verschiedene Organisationen, Menschen, Kräfte, Politik, die man benennen kann, stehen hinter dieser Erscheinung.

Herr Ministerpräsident, was ist Ihrer Ansicht nach die Bedeutung dessen, was für eine Antwort Europa jetzt auf die gegenwärtige Krise gibt? Wird jetzt vor unseren Augen tatsächlich Geschichte geschrieben, oder ist dies nur ein politischer Slogan?

Ich sage es noch einmal, die Tatsachen lehren uns, dass jene Menschen, die jetzt hierher nach Europa kommen, aus einer anderen Lebensweise und einer anderen Kultur kommen, sie vertreten andere Ideale, richten ihr Leben anders ein. Wenn Sie islamisch sagen und ich christlich, dann spreche ich nicht darüber, dass sie und wir unser Verhältnis zu Gott auf unterschiedliche Weise regeln, sondern ich spreche über eine Kultur und eine Lebensweise. Zum Beispiel spreche ich über die Gleichheit von Mann und Frau oder über die Familienstruktur, darüber ob man eine oder mehrere Ehefrauen hat, über die Erziehung, darüber, wozu wir unsere Kinder erziehen sollen. Über sexuelle Sitten, die in der europäischen im Laufe einer langen Zeit entstanden sind; sie mögen sein, wie sie sind, jedoch sind sie entlang einer Kultur entstanden, dort sind sie ganz anders. Ich könnte die Reihe fortsetzen. Dies sind ganz andere Lebensweisen, und wir sehen, dass jene, die in Massen hierher gekommen sind, ihre eigene Lebensweise leben, nicht die europäische. Das ist ein liberaler Traum, oder ich weiß gar nicht, als was ich es bezeichnen soll, eine Illusion, dass wir annehmen, die europäischen Werte wären auch für andere derart attraktiv, dass sie sogleich die Gelegenheit nutzen werden, um ihr eigenes und ihr Familienleben umzuformen, und so zu leben wie wir. Sie wollen nicht so leben wie wir, weil sie anders über die Welt denken, weil sie etwas anderes über ihren Platz in der Welt denken, anders über die Gesichtspunkte denken, auf Grund derer sie ihr Verhältnis zu Gott, zu den anderen Menschen und dem Wirtschaftssystem ordnen müssen. Aus diesem Grunde entstehen Parallelgesellschaften und von diesem Punkt an ist es nur noch eine Frage der Mathematik – sie vermehren sich schneller, sind fruchtbarer, stärker auf die Familie konzentriert, sie leben in gewisser Hinsicht auch mit einer größeren Spiritualität als wir –, deshalb sind sie auch wettbewerbsfähiger. Und Europa ist gegeben… Wenn wir hier in Europa einen Wettbewerb zwischen den beiden Zivilisationen zulassen, dann werden wir Christen diesen Wettbewerb verlieren. Das ist traurig, doch so ist die Lage. Wir müssen dem ins Auge sehen. Dies ist auch eine Kritik bezüglich der seelischen Kraft unserer eigenen christlichen Gesellschaft, doch ist dies die Situation. Wenn wir den Wettbewerb zulassen, werden wir ihn verlieren. In einem einzigen Fall können wir den Kontinent als solchen erhalten, wie er ist: Wir lassen nicht jeden herein und akzeptieren die Ankündigung solch eines Wettbewerbs nicht.

Es ist schwer, so über die die Terrorgefahr betreffenden Aspekte der Flüchtlingsfrage zu sprechen, dass man sich nicht dem Vorwurf der Angstmache aussetzen würde, und selbstverständlich ist dies auch nicht meine Absicht, doch kann man das Thema nicht vermeiden. Sie sehen geheimdienstliche Berichte, was können Sie auf Grund von diesen sagen, kommen und wenn ja in welcher Zahl Leute, die durch verschiedene Terrororganisationen, hier wird am häufigsten der Islamische Staat erwähnt, also die von verschiedenen Terrororganisationen geschickt werden, den Menschenstrom ausnutzend.

Es kommen welche und zum Glück gehen sie auch. Das ist für Europa keine gute Nachricht, doch für uns eine temporäre Beruhigung, weil durch uns gehen sie nur hindurch, aber wir wissen, dass sie kommen und wissen, dass sie weitergehen, und wir können nicht jeden herausfiltern.

Zu welchem Zweck?

Es gibt keinerlei gute Absicht in ihren Plänen, soweit man das von ihrem Beziehungsgeflecht ablesen kann. Europa muss also damit rechnen, dass mit dieser gescheiterten Politik, denn die Einwanderungspolitik Europas hat jetzt vor unseren Augen ein Fiasko erlitten, ist zusammengebrochen, und dadurch, dass wir sie forciert haben, genauer gesagt, dass jene, die darauf gedrängt haben, die Situation mit Hilfe einer gescheiterten Einwanderungspolitik zu verwalten, haben ein sehr schwerwiegendes Unheil verursacht. In großer Zahl sind Personen in die westlichen Länder Europas gelangt, von denen man auf Grund ihres bekannten, früheren Verbindungsgeflechts zu Recht angenommen werden kann, dass sie keine guten Absichten in ihrem Herzen tragen und in einem gegebenen Moment in der Lage sind, uns zu schaden.

Wir haben genug über die Probleme gesprochen, nicht wahr, jetzt soll die etwas härtere Nuss kommen, die Lösung. Sie haben hierauf aber schon einige Andeutungen gemacht und ich würde erneut zu Ihrem der Bild-Zeitung gegebenen Interview zurückkehren, in dem Sie über einen Plan sprachen, den Sie auf dem nächsten Gipfel der Union ausführen würden. Ein Teil dessen ist die finanzielle Hilfe für die Nachbarstaaten von Syrien, nicht wahr, und der Schutz der Grenzen der Türkei sowie Griechenlands. Was bedeutet dies genau, zum Beispiel in Hinblick auf die finanzielle Unterstützung?

Schauen Sie, darüber spreche ich auch gerne, doch die Diskussion wird jetzt über etwas anderes geführt, oder wie man so sagt: Etwas anderes ist in diesem Moment die heiße Kartoffel. Es gibt derzeit zwei Angelegenheiten, die wir auf internationaler Ebene gewinnen müssen. Die eine ist, dass wir die Europäer dazu kriegen müssen, dass nachdem die Griechen nicht in der Lage sind, ihre eigenen Grenzen zu verteidigen, wir schnellstens eine gemeinsame europäische Kraft, eine Kraft zum Grenzschutz schaffen, und hinunter in den Süden gehen, und wir selber die griechischen Grenzen verteidigen, denn wenn die Griechen sie nicht schützen, dann wird das, was wir jetzt sehen, weitergehen, und natürlich wird sich Ungarn mit Hilfe des Zaunes schützen, doch sie gehen weiter in Richtung Kroatien und Slowenien, also ist Europa noch nicht „heraus aus dem Wasser“. Deshalb muss man dorthin militärische oder polizeiliche Kräfte hinunterschicken.

Aber sprechen Sie von einer Streitkraft, einer Armee der Union?

Die Europäische Union verfügt über eine Frontex genannte Organisation, deren Namen wir jetzt häufig zu hören bekommen, doch besitzt sie keine Zähne. Also man muss sich das so vorstellen, dass die Frontex Ungarn in dem Ausmaß helfen konnte, dass sie 58 Mann entsandt hat. Allein in der Küche arbeiten mehr Personen, die unsere Soldaten sowie unsere Armee und unsere Polizisten verpflegen, das ist also keine ernsthafte Kraft. Aus der Frontex oder aus gemeinsamen Spenden und Verpflichtungen mehrerer Länder muss man eine starke Einheit erschaffen, die den Schutz der griechischen Grenzen von den Griechen übernehmen kann, auf reguläre Weise übernimmt. Hierzu ist natürlich auch die Zustimmung der Griechen notwendig, und diese gibt es im Moment nicht, und auch bei den anderen ist die Absicht noch nicht genügend stark. Die zweite Gefahr, die wir jetzt abwehren müssen, ist die, dass man will, wir sollten in Ungarn ein Flüchtlingslager errichten, und man muss es den führenden europäischen Politiker begreiflich machen, dass das nicht in Frage kommt. Denn die Probleme müssen am möglichst nächsten Punkt zu dem Ort behoben werden, wo sie entstanden sind. Wenn wir schon irgendwo auf dem Gebiet der Union ein Flüchtlingslager errichten wollen, dann muss dies in Griechenland geschehen, und keinesfalls in Ungarn, weil dies den Konflikt tausend-tausendzweihundert Kilometer näher an das Herz Europas heranbringt. Dann muss man ihn dort halten. Was heute bei den Verhandlungen, den Verhandlungen der Außenminister auf dem Spiel steht, ist, dass Ungarn deutlich machen und in der Frage nicht nachgeben soll, dass in Ungarn aber solch ein Hot Spot – wie er auf Europäisch genannt wird –, also ein Flüchtlingslager, Verteilungsplatz, Sammelort nicht entstehen darf. Wenn diese Dinge geregelt sind, dann können wir über Geld reden, dann können wir über die Modifizierung des Schengen-Vertrages und auch über viele andere Fragen sprechen. Hierzu gibt es einen ungarischen Standpunkt, der auf eine Lösung abzielt.

Kann die Einheit, die Sie jetzt erwähnt haben, durch den Schock, den jetzt, sagen wir, die Deutschen und die Österreicher erlebt haben, schneller entstehen? Kann dieser Prozess schneller werden, dass sich immer mehr Länder hinter Sie stellen? Ich denke dabei an die V4-Staaten, an die baltischen Länder, an Dänemark, und ich sage es noch einmal, um die frischesten zu erwähnen, die österreichische und die deutsche Kehrtwende, der Gesinnungswandel in der Politik, kann dies beschleunigend wirken?

Es kann beschleunigen, das ist keine komplizierte Sache. Was bringen Sie Ihren Kindern bei? Sie lehren Ihren Kindern – dies wird überall im europäischen Kulturkreis unterrichtet –, dass mein Sohn, der kluge Mann wird aus dem Schaden des anderen klug, der dumme Mensch aus dem eigenen und der hoffnungslose nicht einmal aus dem eigenen. Jetzt sind sie aus dem Schaden der Ungarn nicht klug geworden, jetzt werden sie es aus ihrem eigenen Schaden. Dies geschieht, das ist der Prozess. Meiner Ansicht nach wird dies die Entscheidungen in die richtige Richtung weisen.

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen, dass Sie unser Gast waren.

Ich bedanke mich auch!